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Das „Watergate–Trauma“ kommt zurück

■ Die Parallelen zum Sturz Richard Nixons werden immer offensichtlicher / Aus Washington Stefan Schaaf

Als Ronald Reagan am Montagabend in Washington zu verstehen gab, er werde sich der Einsetzung eines Sonderstaatsanwaltes zur Aufklärung des Iran–Contra–Deals nicht länger in den Weg stellen, fühlte sich etliche Amerikaner endgültig in die Zeit vor 13 Jahren zurückversetzt. Eben damals war Richard Nixon durch zwei Sonderankläger zu Fall gebracht worden - wegen eines drittklassigen Einbruchs in das Hauptquartier der Demokraten. Es ist nicht mehr weit von Nixon bis Reagan. Washington (taz) - Präsident Reagan hat am Montag sein Einverständnis zur Ernennung eines Sonderanklägers zu verstehen gegeben, der Gesetzesbrüche in der Affaire um die Waffenlieferungen an den Iran und die an die Contra weitergereichten Zahlungen untersuchen soll. Möglicherweise wird eine solche Person bereits am Dienstag ernannt. Damit reagierte Reagan auf den wachsenden Druck vor allem aus Kreisen seiner eigenen Partei, die die Affaire und die Verantwortlichkeiten möglichst rasch aufklären wollen. Der noch amtierende Mehrheitsführer im Senat, der Republikaner Robert Dole, hatte am Sonntag in einer Fernsehdiskussionsrunde außerdem vorgeschlagen, den Kongreß aus den Ferien zurückzurufen und eine Untersuchungskommission aus Abgeordneten und Senatoren beider Parteien einzuberufen. Dies halte er für sinnvoller, als die zahlreichen, nebeneinander herlaufenden Untersuchungen, die bisher von den verschiedenen parlamentarischen Ausschüssen angekündigt worden sind. Doles Vorschlag werden keine großen Chancen auf Verwirklichung eingeräumt. Am Montag fand bereits das erste Kongreß–Hearing statt. Der Geheimdienstausschuß befragte in nichtöffentlicher Sitzung erste Zeugen, darunter Oliver North und - sechs Stunden lang - den Architekten des iranischen Waffen–Deals, den ehemaligen Sicherheitsberater Robert McFarlane. Während republikanische Senatoren, etwa Richard Lugar, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses, von Reagan rasches Handeln und eine weitergehende Umbesetzung seines Kabinetts fordern, zeigten Führer der Demokratischen Partei relativ wenig Eile. Es sei im Januar früh genug, eine parlamentarische Untersuchungskommission einzuberufen, sagte Senator Robert Byrd gleichfalls am Sonntag im Fernsehen. Andernfalls entstehe eine „Atmosphäre der Hysterie“. Im neuen Jahr werden beide Kammern des Kongresses eine von den Demokraten gestellte Mehrheit haben. Reagans Ankündigung, sich einem Sonderankläger, der vom Justizminister ernannt wer den müßte, nicht zu widersetzen, kam nach seinem ersten Zusammentreffen mit der dreiköpfigen präsidentiellen Untersuchungskommission, die Reagan in der vergangenen Woche bestellt hatte. Ihr gehören der frühere Senator Tower, der ehemalige Sicherheitsberater Scowcroft und der Ex–Außenminister Muskie an. Dieser Ausschuß soll vor allem die Arbeit des Nationalen Sicherheitsrates überprüfen, des Gremiums also, das Reagan untersteht und ihn in militärischen und außenpolitischen Fragen beraten soll. Dieser im Weißen Haus angesiedelte Stab hat seine Planungs– und Beratungsbefugnisse überschritten, als er in den letzten anderthalb Jahren geheime Operationen einleitete und durchführte. Für die Dauer der Untersuchung soll der Nationale Sicherheitsrat nun von der Teilnahme an allen diplomatisch oder militärisch heiklen Operationen ausgeschlossen werden. Neben der Untersuchung des Kongresses und des von Reagan berufenen Dreier–Ausschusses führt das Justizministerium und das FBI eigene Nachforschungen durch. Erste Befragungen durch Justizminister Meese vor über einer Woche hatten erst die Tatsache ergeben, daß Gelder aus dem Waffen–Deal mit dem Iran an die Contra in Zentralamerika geflossen sind. Am Montag nachmittag hatte Meese Reagan über seine Erkenntnisse informiert, am Dienstag war die Bombe geplatzt. Acht Tage und ein verlängertes Thanksgiving–Wochenende später sind es immer noch die gleichen Fragen, über die gerätselt und spekuliert wird: - ist es möglich, daß eine derartige Operation von einem mittleren Beamten des Nationalen Sicherheitsrates durchgeführt wurde, ohne daß irgend jemand außer seinem Vorgesetzten Poindexter davon wußte? Zumindestens Weinbergers Pentagon, das ja die Waffen, die dann via CIA nach Israel und Iran gingen, zur Verfügung stellte, muß lange vorher gewußt haben, das mit der Bezahlung etwas nicht stimmte. Die weltweit operierende Abhörbehörde NSA hatte Funksprüche aus dem Iran aufgefangen, aus denen hervorging, daß Khomeni für die Waffen erheblich mehr bezahlt hat, als die CIA im Pentagon abrechnete. Doch erst am Montag gab das Pentagon bekannt, daß die Sicherstellung aller internen Akten, die den Iran–Deal betreffen, angeordnet worden sei. Zeit genug, um vorher den Reißwolf anzuschmeißen. Dasselbe gilt für das State Department, die CIA, die Stabchefs des Militärs und vor allem die Spitze der Administration - Regan, Bush und Reagan selbst. Wer sagt die Wahrheit über den Weg des Geldes aus dem Iran nach Mittelamerika? Ging es direkt aus dem Iran in die Schweiz, wie Israel behauptet; wurde es über Israel geleitet, wie Justizminister Meese behauptet; wer von den antisandinistischen Kräften hat die Millionen erhalten? Fragen, die nach Antworten rufen und die Reagans Statur zwei Jahre vor dem Ende seiner Präsidentschaft unwiderruflich angeschlagen haben. Was er bisher als die Wahrheit angeboten hat, wird ihm nicht abgenommen. Meinungsumfragen, die am Montag bekannt wurden, zeigen, daß 53 Prozent der US–Bürger und Bürgerinnen glauben, Reagan habe von der geheimen Finanzierung der Contra durch den iranischen Waffenhandel gewußt; drei Viertel der Befragten sind überzeugt, daß der Präsident der Öffentlichkeit Fakten verschweigt. Eine Mehrheit ist außerdem gegen Waffenlieferungen an den Iran (75 Prozent) und gegen die Unterstützung der Contra (56 Prozent). Reagan und seine unmittelbare Umgebung sind zunehmend isoliert. Selbst frühere Administrationsmitglieder schenken ihr keinen Glauben: „Es ist ganz, ganz klar, daß wir noch nicht die ganze Geschichte gehört haben“, sagt etwa der frühere Außenminister Al Haig. Wie sehr Haig damit recht haben könnte, zeigt ein Vorfall, der ebenfalls am Montag bekannt wurde. Robert White, Carters ehemaliger Botschafter in El Salvador, der heute ein privates „Zentrum für Entwicklung und Politik“ leitet, teilte der Öffentlichkeit mit, in den Büroräumen des Zentrums sei am Wochenende eingebrochen worden. Ein Ausschuß dieses Zentrums, das in erklärter Opposition zu Reagan Mittelamerikapolitik steht, führte Ermittlungen über die Finanzierung der Contras und leitete dabei gewonnene Informationen an den Kongreß weiter. Just diese Abteilung, so White, sei vollständig durchwühlt und eine Kopie entwendet worden, die Fluginstruktionen der Southern Air Transport enthielt. Diese Fluggesellschaft arbeitet für die CIA und soll sowohl bei der Belieferung der Contra als auch der Iran–Affäre eine Rolle gespielt haben. Die Schatten von Watergate, sie werden immer länger.

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