piwik no script img

■ Heute berät die Nato über Luftangriffe in BosnienDas Versteckspiel ist zu Ende

Die täglichen Bilder vom Bosnienkrieg, der vor genau 22 Monaten mit den ersten serbischen Artillerieangriffen auf Sarajevo begann, haben längst abgestumpft. Da bedurfte es schon eines besonders opferreichen Massakers, zumal an symbolischem Ort, um noch einmal weltweite Empörung hervorzurufen. So groß ist das Entsetzen über die 68 getöteten und 197 schwerverletzten Zivilisten auf dem Zentralmarkt von Sarajevo, daß auch die 16 Nato-Regierungen die „Strangulierung“ der bosnischen Hauptstadt nicht mehr – wie noch beim Brüsseler Gipfel Anfang Januar – einfach leugnen können. Und so wird denn, um den Eindruck zu erwecken, man sei nun wirklich bereit, dem Völkermord in Bosnien ein Ende zu setzen, von Washington bis Ankara erneut eifrig über Luftangriffe auf serbische Stellungen diskutiert. Frankreich, die Türkei und neuerdings auch Belgien fordern sie, machen allerdings eine angesichts ihrer eigenen militärischen Kapazitäten nicht notwendige Teilnahme der US-Luftwaffe zur Vorbedingung. Washington hat bislang eine Beteiligung abgelehnt, will sie nun aber zumindest nicht mehr ausschließen; niederländische Regierungsmitglieder äußern sich öffentlich für Luftangriffe, privat jedoch strikt dagegen; und Großbritannien wie Spanien sagen: Jetzt nicht, aber vielleicht später.

Mit derartigen Scheindebatten ließ sich in der Vergangenheit stets der gemeinsame Handlungsunwille aller Nato-Staaten einigermaßen vertuschen. Zumal man stets auf UNO-Generalsekretär Butros Ghali verweisen konnte, der über Luftangriffe zu entscheiden habe, diese angeblich aber ablehne. Wohlweislich wurde bei dieser Argumentation immer wieder unterschlagen, daß der UNO-Generalsekretär erklärtermaßen die Nato nur zu Luftangriffen auffordern wollte, wenn ihm sein Sonderbeauftragter für Ex-Jugoslawien, Akashi (Nachfolger von Stoltenberg) eine entsprechende Empfehlung der führenden Unprofor- Kommandanten vorlegt. Und die – sämtlich französische, britische, kanadische und belgische Generäle – hatten in Absprache mit ihren Regierungen in Paris, London, Ottawa und Brüssel bis zum Massaker vom Samstag davon stets abgeraten, außer für den Fall eines massiven militärischen Angriffes auf Unprofor- Truppen.

Das Versteckspiel ist nun nicht mehr möglich, seit der UNO-Generalsekretär gestern Nato-Generalsekretär Wörner schriftlich zur Vorbereitung von Luftangriffen gegen Artilleriestellungen bei Sarajevo aufgefordert hat. Der Ball liegt jetzt eindeutig in Brüssel, wo heute die Nato-Staaten beraten wollen. Selbst wenn die Urheberschaft für den Artillerieangriff vom Samstag aus technischen Gründen nicht mit letzter Sicherheit bestimmbar sein sollte: Es gibt auch ohne dies längst Anlaß genug für Luftangriffe. Den bereits im Oktober 1992 bei den Genfer Bosnienverhandlungen verbindlich zugesagten Abzug aller Artilleriegeschütze und anderer schwerer Waffen außer Reichweite Sarajevos haben die Serben bis heute nicht umgesetzt. Der Vorschlag des französischen Verteidigungsministers Léotard, hierfür jetzt eine ultimative Frist von etwa einer Woche zu setzen und danach die verbliebenen Artilleriegeschütze aus der Luft zu zerstören, ist sehr vernünftig.

Luftangriffe brächten zwar mit Sicherheit nicht die politische Lösung des Bosnienkonflikts und wohl noch nicht einmal ein sofortiges Ende des Krieges. Aber sie könnten die Strangulierung Sarajevos endlich beenden und wären darüber hinaus ein längst überfalliges Signal an die serbische Seite, das sie zu einem konstruktiveren Verhalten am Verhandlungstisch bewegen könnte. Wenn der bosnischen Serbenführer Karadžić nun seine Bereitschaft signalisiert, über einen Separatfrieden für Sarajevo zu „verhandeln“, darf dies jedenfalls getrost als neues Manöver im Genfer Verhandlungspoker gewertet werden. Seit fünf Monaten liegt ein in allen Details ausgehandelter Plan für die UNO-Verwaltung über die bosnische Hauptstadt vor. Er ist von der serbischen Seite unterschrieben. Seiner sofortigen Inkraftsetzung steht außer der serbischen Artillerie nichts mehr im Weg. Andreas Zumach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen