: Das Versagen der UNO bei Srebrenica
■ Das Hauptquartier der Blauhelme in Zagreb interpretierte die Angriffe der bosnischen Serben auf die muslimische Enklave als „begrenzte Aktionen“ / Dann war es zu spät
Zagreb (dpa) – Die Führung der UN-Friedenstruppen hat die serbische Großoffensive gegen die Schutzzone und Muslim-Enklave Srebrenica im Osten Bosniens offensichtlich verschlafen und verkannt. Darauf deuteten gestern eine Reihe von Hinweisen und Aussagen von führenden UN-Angehörigen und Offizieren im Hauptquartier der Blauhelme in Zagreb hin. „Unsere Kommandeure haben die ersten serbischen Vorstöße in die Schutzzone Ende vergangener Woche als begrenzte Aktionen interpretiert, die sich inzwischen leider als komplette Offensive erwiesen haben“, sagte dazu UN-Chefsprecher Chris Gunness.
Damit erklärte sich auch das Ausbleiben der von Sarajevo mehrfach geforderten Luftunterstützung der Nato. Denn erst nachdem mehrere Stützpunkte des niederländischen Bataillons in Srebrenica von den Serben am Sonnabend berannt worden waren, kam Bewegung in die Kommandostrukturen der Blauhelme in Sarajevo und Zagreb. „Das Ganze wurde zuerst als isolierter Zwischenfall behandelt, und dann war es plötzlich zu spät“, beschrieb ein hoher UN-Offizier die Entwicklung. 30 niederländische UN-Soldaten in serbischer Gewalt dienten dann offensichtlich als weiteres Hemmnis bei der Entscheidungsfindung der UN-Generäle.
Das völlige Ausbleiben von Luftunterstützung selbst bei direkten Kämpfen zwischen serbischen Einheiten und den niederländischen Blauhelmen begründeten die UN-Sprecher schließlich gestern vormittag mit „schlechter Sicht bei Dunkelheit“ und „verworrenen Frontlinien“. Die hochtechnisierten Radareinrichtungen und Zielvorrichtungen der Nato- Jets wurden bei diesen standardisiert wirkenden Verlegenheitserklärungen nicht berücksichtigt.
Die Entwicklung rund um Srebrenica zeigt auch auf, daß die UN- Führung kein brauchbares Konzept zum Schutz der Sicherheitszone parat hat. Vielmehr ließen die UN-Sprecher erkennen, daß die Führung der Blauhelme nicht mehr um den Erhalt der UN- Schutzzone, sondern ausschließlich um die Sicherheit der dort stationierten niederländischen Blauhelmsoldaten bemüht war. „Die Drohung mit Nato-Luftunterstützung gilt nur für den Fall, daß die Niederländer angegriffen werden“, präzisierte UN-Sprecher Jim Landale in Sarajevo die Angelegenheit.
„Die Enklaven (und UN- Schutzzonen) im Osten Bosniens sind aus militärischer Sicht ohnehin nicht zu verteidigen“, betonte der britische Major Toby Bridge. Mit dieser Aussage jedoch bestätigte der UN-Offizier indirekt die Befürchtungen der bosnischen Führung in Sarajevo, daß die UN die Enklave Srebrenica und möglicherweise auch die benachbarte Schutzzone Zepa den Serben preisgeben wollte.
Und was dann? Auf diese Frage wußten die Verantwortlichen der UN-Führung keine Antwort. Für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist aber klar, daß mit dem Fall von Srebrenica ein „neuer Exodus“ von 40.000 Zivilisten zu erwarten ist.
Und für die bosnische Führung in Sarajevo steht nach den Worten von Regierungschef Haris Silajdzić fest, daß dann der Sinn eines weiteren Verbleibs der Blauhelme in Bosnien fraglich ist. Günther Chalupa
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