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Das Vaterland ist in Gefahr!

Vor 150 Jahren hatte die Universität einen Monat lang ihre revolutionäre Chance. Die Studenten verlangten Gleichheit vor dem Gesetz und an der Alma mater  ■ Von Heike Thielbeer

Commilitonen! Das Vaterland ist in Gefahr! Die Anarchie, welche aus den unteren und unterdrückten Ständen der Gesellschaft droht, kann nur beschworen werden, wenn man ihre Lage gründlich verbessert. Commilitonen, wem von Euch für Freiheit und Volkswohl ein Herz im Busen schlägt und wer consequent genug ist, die einzig mögliche Verwirklichung dieser Freiheit in der Republik zu erkennen, den fordern wir auf: tretet unserem Vereine bei.

Anfang Juli 1848 versetzten Kommilitonen mit diesem Aufruf zur Gründung eines demokratischen Studentenvereins die Universität Heidelberg in Aufruhr. Der Kurator der Alma mater nannte die Konstituierung ein „gemeines Verbrechen“. Das Badische Ministerium verbot den Verein wenige Tage später. Bereits im Juli 1848 galt der Einsatz für die Republik als „Hochverrath“.

Empört über die Verletzung des Vereinigungsrechts, einer Märzerrungenschaft, verließen daraufhin am 17. Juli Heidelberger Studenten die Stadt – die schwarz-rot-goldene Fahne voran. „Wir leben in keinem Rechts- sondern in einem Polizeistaat“, empörte sich der Student Adolph Hirsch im Senat der Universität, „wo kein Recht und Gesetz mehr ist.“

Auch die Studenten in Gießen, Würzburg und Göttingen zogen aus. Die „Göttinger Musensöhne“ werden von den Professoren im Talar auf dem Marktplatz verabschiedet. In Marburg und Freiburg werden die Vorlesungen boykottiert, in Jena führen Studenten eine Bauerndemonstration an. In Leipzig, Erlangen, Rostock, Gießen, Würzburg und Berlin – an fast allen Universitäten war der Vorlesungsbetrieb zeitweise lahmgelegt, weil die Studenten sich in der Aula über Aktionen berieten.

Die Aufrührer forderten ein nationales Parlament und eine liberalere Praxis der Ministerien in den Kleinstaaten. Sie klagten Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit für sich ein und unterstützten damit die Forderungen des Bürgertums. Die Solidarität mit den Besitzbürgern ergab sich aus der Gleichartigkeit der Bedrängnis. Die Bürokratien der deutschen territorialstaatlichen Monarchien waren der gemeinsame Gegner.

Die Nation sollte Freiheit bringen

Die neu zu schaffende Nation sollte von den schikanösen Eingriffen in das geistige und materielle Eigentum befreien und politische Partizipation bringen. Der Protest der Bürger und Akademiker war aber nicht gegen das System selbst gerichtet. An seinem Sturz konnten weder Studenten noch Professoren ein Interesse haben. Könige, Kurfürsten und Großherzöge waren gleichzeitig Zuchtmeister und Erhalter der Universität.

Die Revolution des Jahres 1848 war eine Revolte der Volksversammlungen. Resolution, Rede, Debatte und Beschluß waren ihre Waffen – und die historische Chance der deutschen Universität. Professoren und Studenten formulierten den bürgerlichen Protest gegen polizeistaatliche Willkür. Im Revolutionsjahr traten sie als Gegenspieler des Staates auf die politische Bühne. Zugleich Diener und Kritiker eines Staates zu sein war eine schwierige Doppelrolle.

Als drei Tage nach den Schüssen auf die Bürger vor dem Berliner Schloß am 18. März 1848 Polizeipräsident Julius Freiherr von Minutoli persönlich in der Aula erschien, um die Hochschüler zum Schutz für König und Prinz, „die Künder einer neuen Zeit“, aufzufordern, ließ man ihn stolz gewähren. Diese geradezu „kindliche Vertrauensseligkeit“, mit der man die Erfüllung der dem König von Preußen mit Gewalt abgerungenen Versprechen erwartete, bezeichnete der Student Carl Schurz als „einen der großen Irrtümer“. Er sollte recht behalten.

Als General von Wrangel die preußischen Truppen im November 1848 nach Berlin zurückführte, wollten die Studenten der bedrohten Preußischen Nationalversammlung die Aula als Asyl zur Verfügung stellen. Aber der Prorektor hielt den akademischen Versammlungsraum verschlossen und untersagte weitere politische Zusammenkünfte. Und 60 Professoren sanktionierten mit einem Gutachten „das Recht der Krone, das Parlament zu verlegen“. Den verratenen Studiosi blieb nichts, als gegen die „völlige Unterdrückung der Gesinnungsfreiheit“ zu protestieren.

Eine radikale demokratische Minderheit wollte von einer bloßen Reform ohnehin nichts wissen. Sie kämpfte für Republik und Bundesstaat – und lehnte ein monarchisches Oberhaupt kategorisch ab. „Mit Volkssouveränität und Volksglück ist Fürstensouveränität und Fürstenglück unvereinbar“, heißt es in einer Adresse revolutionärer Studenten, die auch den Abgeordneten der Paulskirche mißtrauten. Sie schmähten die ersten Parlamentarier als „Vertreter der Revolution, die den Geist der Revolution leugnen“.

Zu den Republikanern gehörten der Gießener Student Wilhelm Liebknecht, der „Bonner Phantast“ Carl Schurz (später Innenminister in den Vereinigten Staaten) und Johannes Miquel. „Kommunist und Atheist will ich wie Sie die Diktatur der Arbeiterklasse“, schrieb der Göttinger Student Miquel an Marx, „wir müssen durch eigene Mittel die revolutionäre Wut auf die Spitze treiben – dann gelingt es uns vielleicht, die Diktatur unserer Partei durchzusetzen.“

Genau wie die Mehrheit der deutschen Studierenden kamen aber auch die „Revoluzzer“ vorwiegend aus dem Bürgertum oder der akademisch gebildeten Beamtenschicht. Dominierend waren die Juristen. Auch unter den republikanisch Gesinnten galt der Staatsdienst als bevorzugte Berufswahl. Die Forschung hat das Gros der umstürzlerischen Studenten später in den Beamtenlisten wiederentdeckt – aber keinen als Unternehmer. Die studentische Revolte war Bestandteil der liberalen Beamtenopposition von 1848.

Beeinflußt waren die studentischen Revolutionäre vom „subversiven Element“ junghegelianischer Privatdozenten. Selbst nicht verbeamtet, sozial und rechtlich ungesichert, stellten Dozenten wie Arnold Ruge, Ludwig Feuerbach, David Friedrich Strauß ein unzufriedenes, latent oppositionelles Potential im Lehrbetrieb dar. „Hütet Euch vor den Beamten. Hütet Euch vor den Professoren, sie haben die Knechtschaft in ein System gebracht“, begeisterte Arnold Ruge die linken Studiosi.

Anhand von Senatsprotokollen, Polizeiakten, Pressemitteilungen und namentlich unterzeichneten Adressen ist es möglich, die Anzahl der Revolutionäre an den Universitäten ermitteln. Rund fünf Prozent der Studenten fielen als politische Agitatoren auf, mehr als zehn Prozent können zu Sympathisanten des republikanischen Radikalismus gerechnet werden. Bei 11.500 Immatrikulierten im Jahr 1848 wäre also von rund 1.000 Studenten auszugehen, die Republik und Bundesstaat auf revolutionärem Weg durchsetzen wollten. Mit den heutigen Massenveranstaltungen für knapp zwei Millionen Studierende sind die Universitäten von damals nicht zu vergleichen. 17 von 19 Hochschulen hatten weniger als 1.000 Studenten. In München, Breslau und Berlin mit jeweils weniger als 100.000 Einwohnern waren sie dennoch ein gewichtiger Faktor. Andere Universitäten bangten mit weniger als 300 Studenten ums Überleben. Dazu gehörten neben Rostock, Greifswald und Kiel die Hochschulen in Freiburg und Marburg. Freiburg mit seinen 231 Studenten würde heute ein gut besuchtes Seminar füllen.

„Die Universitäten waren von jeher Republiken, sie sollen es bleiben, dann nur gedeiht in ihnen die Wahrheit. Die demokratischen Republiken sind die besten, mit der Aristokratie entsteht der Kastengeist.“ Auf diese bündige Formel brachte ein Privatdozent die Diskussion über eine Reform der Universitäten, die 1848 in Gang kam. Autonomie und Partizipation sollten auch in den Hochschulen verwirklicht werden.

Ansatzpunkt der Kritik war vor allem die atemberaubende Umklammerung durch den autoritären Territorialstaat. Besonders seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 bespitzelt, überwacht, reglementiert und kontrolliert, galt die Universität den Fürsten stets als Zentrum subversiver Wühlarbeit. Die Wissenschaft war zudem von der „Zwangsjacke theologischer Vorurteile und des politischen Partikularismus“ zu befreien. Sie soll nicht länger „in Bedientenlivrée an den Stufen der Throne stehen, um den Launen des jedmaligen Machthabers zu dienen“, lauteten Forderungen, erhoben zu Pfingsten 1848 auf der Wartburg.

Zu dem Rechtsstaat, der die deutsche Nation fortan sein sollte, gehört die Gleichheit vor dem Gesetz. Auch innerhalb der Universität sollten die Standesunterschiede wegfallen. Das verlangten Nichtordinarien wie Studenten. Sie forderten, in den Reformkommissionen und im wichtigsten Organ der Universität, dem Senat, vertreten zu sein. Nichtordinarien und Studenten bildeten an allen Universitäten sogenannte Reformvereine. Die Professoren sahen sich genötigt, Zugeständnisse zu machen. Auf ihrem Jenaer Kongreß beschlossen sie, das Plenum sämtlicher Lehrer wiederzubeleben. Es sollte den Rektor wählen und, unter Umgehung der akademischen Behörden, Anträge direkt an die Regierung stellen können. Auch die Studenten sollten darin vertreten sein – wie etwa an der Universität Graz, die bereits im April 1848 30 Studenten in ihren Senat aufgenommen hatte.

Den Jenaer Beschluß übertrafen die Studenten mit ihren Mitbestimmungsforderungen bei weitem: „Die Universität wird durch einen aus sämtlichen Lehrern und einer gleichen Anzahl von Lernenden gebildeten Ausschuß repräsentiert. Der Vorsitzende desselben geht aus freier Wahl der Mitglieder hervor.“ So verlangte es das Studentenparlament auf der Wartburg. 3.000 der 11.500 deutschen Studenten unterstützten die Forderung ebenso wie das Ansinnen, auf das Abitur als Aufnahmebedingung für die Hochschule zu verzichten und auch Autodidakten zum Staatsamt zuzulassen.

„Von der Zuziehung der Studenten kann keine Rede sein, sie sind Gäste, die sich nur vorübergehend auf der Universität aufhalten“, wiesen die konservativen Professoren das brüsk zurück. „Zu einem gründlichen Urteil über die Befähigung der Lehrer sind die Studenten unfähig.“ So behauptete sich die 300 Jahre alte Ordinarienverfassung gegen eine Reform der Universitäten. Nichtordinarien gelang es erst nach der preußischen Hochschulreform 1930, an der Verwaltung der Universität beteiligt zu werden. Erste Ansätze einer studentischen Mitwirkung gibt es seit 1948. Studentenschaften konstituierten sich in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts.

Universität als Modell einer freien Republik

Als Vorreiter und Modell einer politischen und gesellschaftlichen Veränderung versagte die Universität. Die Eingriffe der territorialstaatlichen Bürokratien hatte die Hochschule mit dem Jahr 1848 zwar erfolgreich abgewehrt. Der finanziellen Abhängigkeit konnte sie jedoch nicht entgehen. So war sie nur allzugern bereit, sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jenes Verhaltens anzubequemen, das die Institution noch heute weithin prägt: großzügige finanzielle Ausstattung gegen politisches Wohlverhalten zu tauschen.

Die Autorin hat über „Universität und Politik in der Deutschen Revolution von 1848“ promoviert

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