: Das Tor zur weiten Welt
Nach zögerlichem Start hat sich das Internet auch im arabischen Raum durchgesetzt. Vor allem Jugendliche und Frauen profitieren von der neuen, unreglementierten Kommunikation
von MUSA SHTEIWI
Zum Beispiel Jordanien. Im Norden der Stadt Irbid reihen sich auf einer einzigen Straße über hundert Internetcafés aneinander. Wie in Irbid boomen in allen arabischen Städten die Internetcafés, vor allem in der Nähe von Universitäten, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Sie sind das Tor zur Welt, der Zugang zum öffentlichen Raum für Jugendliche, insbesondere auch für Frauen. Internetcafés sind zu einem populären Treffpunkt für Männer und Frauen geworden – in einer Welt, in der es für Frauen und Jugendliche noch immer nicht selbstverständlich ist, unabhängige Kontakte mit der Außenwelt unterhalten zu können.
Der Einfluss des Internets auf Frauen variiert je nach Alter, Bildungsniveau, Wohnort, Familienstand und sozialer Schicht. Sicher ist jedoch: Das Internet eröffnet Frauengruppen und Aktivistinnen neue Möglichkeiten. Es dient als Diskussionsforum und Informationsquelle und erreicht so eine Vielzahl von Frauen, die anders kaum zu erreichen wären. Es gibt zahlreiche Frauenwebseiten, die Informationen zu Frauenthemen verbreiten, die in arabischen Ländern weiterhin tabuisiert sind und in den traditionellen Massenmedien nur schwer diskutierbar wären.
Darüber hinaus bildet das Internet ein Gegengewicht zu den vorherrschenden Stereotypen der Frau als Tochter, Ehefrau oder Mutter. Traditionell ist den Frauen die Kommunikation mit Männern außerhalb der Familie nicht erlaubt, oder sie unterliegt der Kontrolle durch männliche Familienmitglieder. Durch Chatten und E-Mail aber können Frauen andere Frauen und Männer treffen und mit ihnen ihre Gedanken und Gefühle austauschen. Diese Kommunikationsformen helfen, die soziale Isolation der Frauen zu überwinden. Und der oder die NutzerIn bleibt dort anonym – Voraussetzung für individuelle und freie Interaktion.
Daneben bekommen Frauen Zugang zu einer Vielzahl von politischen und kulturellen Informationen, über Musik und Sexualität. Frauen können ihre Allgemeinbildung in vielen Themenbereichen verbessern. Das Internet trägt entscheidend zur heimlichen Revolution der Geschlechter in der arabischen Welt bei. Auch wenn die arabische Welt bislang den kleinsten Anteil an Internetnutzern weltweit hat und die Frauen als Nutzer nochmals deutlich hinter den Männern liegen.
Als Mitte der Neunzigerjahre das Internet die Region erreichte, traf es auf einen starken Widerstand sowohl seitens der undemokratischen Regierungen als auch seitens konservativer Kreise in Politik und Gesellschaft. Der Widerstand gegen das Internet und die Versuche, es zu kontrollieren, hatten hauptsächlich politische und soziale Gründe. Was die Politik betraf, so befürchteten die überwiegend autokratischen Regime, dass ihre Bürger Zugang zu Informationen über den repressiven Charakter dieser Regime bekämen.
Aber man befürchtete auch das Eindringen neuer Ideen durch die Kontakte mit der weiten Welt, die nicht mehr kontrollierbar wären. Und natürlich ängstigten sich konservative Gesellschaftsgruppen. Sie wollten verhindern, dass insbesondere Frauen und Jugendliche mit neuen westlichen Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen in Berührung kommen, die man in diesen Kreisen für unmoralisch und korrupt hält.
Nach einem eher zögerlichen Start entwickelte sich die Nutzung des Internets in der arabischen Welt jedoch sehr schnell. Die Länder der arabischen Welt verbindet zwar eine Vielzahl ähnlicher Merkmale und Gemeinsamkeiten (Sprache, Kultur, Religion und Geografie), aber es gibt auch entscheidende Unterschiede in der jeweiligen sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Struktur. Heute allerdings erlauben fast alle arabischen Länder den öffentlichen Zugang zum Internet, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Einige Länder haben das Internet bereits in Schulen, Universitäten und Behörden.
Das Internet kann zu einem Modernisierungsschub in der arabischen Welt führen. Jedenfalls hat es entscheidend zum Entstehen einer arabischen Jugendkultur beigetragen. Diese aufblühende Jugendkultur wird zu einer Herausforderung für die traditionelle arabische Kultur, orientiert sie sich doch von vornherein an internationalen Einflüssen und individuellen Werten.
Übersetzung aus dem Englischen von Hans Schiler und Tim Mücke MUSA SHTEIWI ist Professor der Soziologe am „Department of Sociology/Women Studies“ der jordanischen Universität in Amman. Er spricht am 26. April um 19 Uhr im Berliner Haus der Kulturen im Rahmen von DisORIENTation. Sein Thema: Neue gesellschaftliche Räume durch Internet und Satelliten-TV