: Das Tier in Dir
■ Schneeweißchen meets Freddy Krüger: Das quirlige Märchen „Guten Tag Monster!“ eröffnet die MOKS-Saison
Dumpfe Gruselmusik dampft durch die Szenerie. Im grünen Schlaglicht fliehen die armen, kleinen Mädchen; Zeitlupentempo lähmt ihre Bewegungen. Zu spät, schon schlappt das Monster herbei, streckt seine Gummikrallen aus – und fragt mit piepsiger Kinderstimme: „Ich bin das Monster, willst Du mich nicht heiraten?“ Solche witzigen Wendungen und Brechungen geben den Ton an in der Bremer Inszenierung von Pauline Mols „Guten Tag Monster!“ Und sowas ist ja ein probates Mittel gegen monsterhafte Ängste.
Um die geht es natürlich in dieser altbekannten Geschichte. Von Schneeweißchen bis Rosenrot kennen wir diese Sorte Bildungsstück: Angst vorm Erwachsenwerden, Angst vorm Verlust der Familie und besonders des schützenden Vaters, Angst vor der ersten Liebe und dem ersten anderen Mann im Leben – all das, was in den klassischen Märchen in plastisch-drastischer Symbolik erzählt wird, findet sich hier wieder, allerdings hübsch aufgedröselt und quirlig verzwirbelt.
So tauchen die märchenhaften Klischees hier nur mehr als komisches Zitat auf, ohne allerdings ihre Bedeutung einzubüßen. Die jungfräulich weiße Rose, über die natürlich zarte Blutstropfen vergossen werden – sie erscheint hier als profane Plastikblume, wie frisch vom Freimarkt geschossen. Das grauslige Monster ist ordnungsgemäß mit einer Art Bärenfell kostümiert und versetzt die Mädchen in Angst und Schrecken – aber mit seinen komischen Lederpratzen und –stiefel persifliert es gleichzeitig die grotesken Horrorgestalten zeitgenössischer Gruselthriller Marke „Freddy Krüger“.
Das alte Märchenpathos wird vor allem durch den fliegenden Rollenwechsel ordentlich aufgeschüttelt, den die Regie (Ingeborg Waldherr) dem Drama verpaßt. Sie läßt die drei Erzählfeen sämtliche Figuren spielen, und zwar munter durcheinander. So wird aus dem Mädchen das Monster, aus dem Monster der Vater, aus dem Vater der Prinz und umgekehrt. Und jede der jungen Märchenfeen darf herumprobieren, welche Rolle ihr denn so passen könnte. In märchenhaft lockerer, unaufdringlicher Form wird dabei aus dem alten Märchen ein Spiel mit sich ständig wandelnden Identitäten, in dem so ganz nebenbei auch noch die Erzählebenen ständig wechseln. So wird die Gruselgeschichte aus mindestens drei Perspektiven erzählt; immer wieder wird von vorn angefangen, werden die Rollen getauscht und umgemodelt – bis es denn doch noch alles paßt. Denn am Ende wird natürlich die Angst überwunden und das Monster bezwungen, aus dem sich standesgemäß der erforderliche Prinz herauspellt – heuer im zeitgemäßen Traumboylook, in Schlabbershirt und Baseballkappe gewandet, samt Skateboard unterm Arm.
Thomas Wolf f
Aufführungen: 22. und 23.10., 1.-15.11., MOKS-Theater im Brauhaus
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