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Das System Suhrkamp

■ Vier lebende Verlags-Autoren lesen aus Werken von vier toten

Die Lebenden lesen die Toten: In Hamburg schickt der Suhrkamp Verlag heute Rainald Goetz, Thomas Meinecke, Andreas Neumeis-ter und Josef Winkler ins Rennen, „große Suhrkamp-Autoren“ zu lesen und zu kommentieren. Die Gehuldigten Niklas Luhmann, Walter Benjamin, Uwe Johnson und Peter Weiss teilen zumindest ein präg-nantes Merkmal: Sie sind tot.

„Wie ich allein dieses Wort LITERATURHAUS schon hasse, wie mich das abstößt. In jeder scheiß Stadt ein blödes Literaturhaus,“ schrieb Rainald Goetz in Abfall für alle und kommt doch. Er will heute Abend aus dem Werke des Systemtheoretikers Niklas Luhmann lesen. Beide teilen einen ähnlichen Kommunikationsbegriff, und beiden kann man beim Denken zusehen, wenn man sie liest.

Die Vorliebe für Theorie teilt Goetz mit Thomas Meinecke, der auch als Musiker, Produzent, DJ und Journalist arbeitet und in seinen literarischen Texten wie Tomboy Elemente des Romans vermischt mit philosophischen Konzepten, Theorien, historischen Einschüben, Zeitgeiststudien und Musik. Meinecke liest heute Abend Walter Benjamin, der sich in seinem Schreiben immer besonders durch Randständigkeit auszeichnete und sich nach seiner 1925 fehlgeschlagenen Habilitation „Über den Ursprung des deutschen Trauerspiels“ für die Lebensform des freien Kritikers entschied.

Die Plattensammlung von Thomas Meinecke auf dem Stand von vor zwei Jahren wiederum kann bewundert werden im Buch Gut laut (1998) des studierten Ethnologen Andreas Neumeister aus München. Neumeister widmet sich dem Werk eines Autors, wegen dem es nach dessen Tod 1984 zu einem langen Rechtsstreit über die Gültigkeit seines Testaments zwischen Suhrkamp-Verleger Unseld und der Autoren-Witwe kam: Uwe Johnson. Nach dem Erscheinen seiner beiden ersten Romane einigte sich die Kritik auf das Etikett „Dichter der beiden Deutschlands“ – zum Missfallen Johnsons. 1983 veröffentlichte er unter Unselds Druck sein Hauptwerk Jahrestage vollendete. Der Verleger gewann zwar den Rechtsstreit nach Jonhnsons Tod 1984, musste sich aber vom Literaturwissenschaftler Werner Gotzmann vorwerfen lassen, er sei ein „urheberrechtlicher Erbschleicher“.

Vierter im Bunde ist der Österreicher Josef Winkler, derzeit Stadtschreiber in Biel, seit 1982 freier Schriftsteller und Träger verschiedener Literaturpreise. Winkler liest aus dem Werk des deutsch-schwedischen Malers, Schriftstellers und Filmemachers Peter Weiss. Als dessen Hauptwerk gilt Die Ästhetik des Widerstands, ein riesiges Romankonvolut, das den antifaschistischen Widerstand schildert, und dem er die letzten zehn Schaffensjahre bis zu seinem Tod 1982 widmete. Meike Fries

heute, 20 Uhr, Literaturhaus,

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