■ Die Verhandlungen zur Pflegeversicherung sind gescheitert: Das Scheitern als Chance
Daß die Pflegeversicherung nur daran scheitern soll, ob die Arbeitgeber für ihre Beiträge mit dem Verzicht der Arbeitnehmer auf einen oder zwei Feiertage belohnt werden, ist den WählerInnen und erst recht den Pflegebedürftigen kaum zu vermitteln. Das Scheitern des Gesetzes an solch ideologischer Prinzipienreiterei macht das Versagen der Politiker überdeutlich. Die klammheimliche Freude bei der FDP, daß das von Anfang an bekämpfte Pflegegesetz nun erst einmal auf der Strecke bleibt, dürfte sich allerdings in Grenzen halten. Denn der Schwarze Peter liegt bei ihr.
Das Kalkül von SPD-Chef Rudolf Scharping hingegen ist aufgegangen. Die SPD zeigte sich kompromißbereit, konnte bei der Aufstockung der unzureichenden Leistungen einen kleinen Erfolg einheimsen, ließ sich aber nicht über den Tisch ziehen. Eine Überkompensation der Arbeitgeber war mit der SPD nicht zu machen. Statt dessen schlug Scharping vor, den Standort Deutschland durch die steuerliche Entlastung von Investitionen zu stärken. Das leuchtet ein, denn es besteht keinerlei Veranlassung, den Unternehmen für die Pflegeversicherung zehn Milliarden Mark mehr hinterherzuwerfen, als sie für die Versicherungsbeiträge aufbringen müssen. Unter dem Strich ist das Scheitern der Spitzengespräche deshalb ein Debakel für die Regierungskoalition. So bitter das Scheitern für die Pflegebedürftigen ist, letztendlich könnten sie von einem Aufschub profitieren. Da die Pflegeversicherung eines der zentralen Vorhaben der Christsozialen ist und sie es auch mit Blick auf ihre Klientel fortgeschrittenen Alters keineswegs aufgeben werden, ließe sich über das Gesetz nach den Bundestagswahlen neu verhandeln – und dann möglicherweise ohne die FDP als Bremser.
Zwar ist fraglich, ob der Ausgleich für die Arbeitgeber bei einer großen Koalition zur Disposition stünde, aber ein anderer Systemfehler könnte behoben werden. Zu Recht hat die SPD immer gefordert, daß eine beitragsfinanzierte Pflegepflichtversicherung für alle gelten muß und nicht nur für diejenigen, die in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Nur wenn der Kreis der Beitragszahler groß genug ist, können auch halbwegs angemessene Leistungen ausgezahlt werden. Zwar werden auch dann nicht die vollen Pflegekosten von der Pflegeversicherung gedeckt werden können, immerhin ließe sich aber die Lücke zwischen realen Kosten und Erstattungen aus der Pflegekasse verkleinern. Das wäre allemal besser als eine Zwei-Klassen-Pflegeversicherung, wie sie der jetzige Gesetzentwurf festgeschrieben hätte. So gesehen birgt das Scheitern auch eine Chance. Dorothee Winden
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