■ Querspalte: Das Problem Jugend
Älter wird man Tag für Tag. Nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch die Parteien. 1974 waren noch 30 Prozent aller Sozen unter 35, inzwischen sind es nur noch 15 Prozent. Dafür sind 11 Prozent älter als 70. Tendenz steigend. Anstatt sich jedoch über den Zuwachs an Lebensweisheit zu freuen, sich mit der Abgeklärtheit des Alters der allzu modischen Vergottung der Jugend energisch zu verschließen, biedern sich auch die Genossen bei den Heranwachsenden an.
Über ein Jahr werkelten die roten Strauchdiebe an einer „Jugendkampagne“, die Parteigeschäftsführer Franz Müntefering jetzt vorstellte. Ein 38seitiges „Jugendmemorandum“ wurde erstellt, in dem unter anderem gefordert wird, irgendwann mal das Wahlalter auf 16 zu senken und viele Lehrlinge auszubilden. Außerdem geplant: Briefaktionen und Annoncen. Und Ende November gibt es sogar einen SPD-Sonderparteitag mit dem Titel „Vertrag mit einer Zukunft – Neue Chancen für die Jugend“. Müntefering hofft, daß nach dem „Abriß“ des Gesprächsfadens „vor einigen Jahren“ die SPD damit zu Jüngeren wieder „stärker Kontakt gewinnen“ kann. Berühren will man sie und küssen. Auf dem Parteitag sollen „Jungsozialisten und Jugendorganisationen Rederecht bekommen“.
Auch Grüne, CSU und FDP setzen auf Wähler unter 50. „Wähl mich“, forderte letztes Jahr etwa der Münchner Jungliberale Jörg Hoffmann (http://www.camelot. de/-catfritz(!)) im Jugendmagazin der SZ, und „Andreas Lorenz (24 Jahre)“ verlangte gleich drei Stimmen für sich, weil er „der jüngste Kandidat aller Parteien“ sei: „Zusätzlich wäre es natürlich toll, wenn Ihr der CSU ein Kreuz gebt.“
Die Bemühungen der SPD, das „Problem Jugend“ zu beseitigen, haben eine schöne Tradition. Letztes Jahr ravte Rudolf Scharping in einer Dortmunder Technodisco, vor 15 Jahren beschloß man den Ausstieg aus der Atomenergie, und schon vor 70 Jahren engagierte sich der österreichische Parteifreund Wilhelm Reich bei den sozialdemokratischen „Kinderfreunden“. Detlef Kuhlbrodt
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