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■ Das PortraitSammy, der Kaiman

Die ausgebüchste Handtasche Foto: AP

Die Bild-Zeitung gab als erste Entwarnung: „Um 15.43 wurde der Schießbefehl aufgehoben“, vermeldete das Blatt gestern und ließ damit Millionen Steine von Tierfreundeherzen plumpsen. Sammy, der flüchtige Lieblingskaiman, war begnadigt.

Das Vieh, geflüchtet vor seinem Herrn Jörg Zars, der ihn nächtens zum Beischlaf zwang („Er hat sich im Bett regelrecht an mich gekuschelt“), hielt sich immer noch erfolgreich im Neusser See versteckt. Alle Versuche, das Tier wieder unter die Bettdecke zu locken, schlugen fehl. Sammy wollte partout nicht mehr kuscheln. Blutige Rindfleischköder wollte er auch nicht, statt dessen dezimierte er die heimischen Wasserratten. Kurz dachte man daran, den See trockenzulegen, doch zunächst holte man Experten. Ein Kaiman-Brunstruf-Imitator blieb unerhört. Auch der Hellseher, der Sammy per telepathische Schwingungen ans Ufer hypnotisieren wollte, versagte. Alle Netze blieben heil – nur dem Einsatzleiter rissen die Nervenstränge: Verkleidet als Crocodile Dundee, schoß er, blind vor Reptilienhaß, auf Sammy. Der ging in den Untergrund.

An Land gründete sich derweil ein Verein. Der „Sammy-Klub“ skandierte: „Weg mit der Todesstrafe, Freiheit für Kaimane.“ Was keiner wußte: Wechselsammy war im Laufe der Nacht blaugefroren. Und wurde steif und steifer. Bis sich ein Rettungsschwimmer erbot, das brettharte Tier zu bergen. Lautlos schnorchelte er sich heran, blendete Sammys Augen und schnappte ihn sich mit bloßer Hand! Die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die die Operation „Tümpelbrise“ hautnah miterlebte, meldet um 8.35 Uhr Vollzug: „Der Zugriff fand im verborgenen statt.“ An Land, übergab man das Tier unverständlicherweise wieder seinem Peiniger: „In den Armen seines Herrchens wurde Sammy wieder munter“, behauptet dpa und beobachtete, wie sich „seine kantige Schnauze mit den messerscharfen Zähnen zu einem schlauen Grinsen verzieht, so als zwinkere er schelmisch in die Fernsehkameras“. Seinem Herrn wird das Krokodilslachen vergehen: Der Badespaß kostet den Arbeitslosen 25.000 Mark pro Tag. Und seinen Liebling ist er auch los: Sammy (dpa: „mit den Nerven völlig am Ende“) darf in Erholung: Statt geblümter Bettwäsche warten im Zoo drollige Kaimanweibchen auf den Ausbrecherkönig von Neuss. Niemann & Schießl

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