Das Portrait: Sie erschoß den Mörder der Tochter
■ Marianne Bachmeier
Am 6. März 1981 zog Marianne Bachmeier, damals 30, einen kleinen italienischen Revolver aus ihrer Manteltasche und erschoß mitten im Gerichtssaal des Lübecker Schwurgerichts und während des dritten Verhandlungstages den Mörder ihrer siebenjährigen Tochter Anna. Fünf der sechs abgebenen Schüsse waren tödlich, die Tat war wohl einer der spektakulärsten Fälle von Selbstjustiz in der Bundesrepublik.
Und die Öffentlichkeit ergriff Partei für die Rächerin. Innerhalb einer Woche lagen auf dem Konto des Unterstützungsverein für ihre Verteidigung über 100.000 Mark bereit, und Blumen und Briefe füllten ihre Zelle in der U-Haftanstalt. Endlich habe eine „Frau wie ein Mann“ gehandelt, schrieben ihr Mütter und Großmütter, endlich habe jemand die bei Sexualstraßprozeßen „verweichlichte“ Justiz herausgefordert. Die Parteilichkeit für Marianne Bachmeier war milieuübergreifend, solange nicht bekannt war, daß sie eine „Alternative“ war, ein Späthippie, die ihr Kind zwischen Kneipe und Ökobauernhof aufgezogen hatte. Ihr fremdes Leben schien den Illustrierten wichtiger zu sein als die Geschichte des Sexualmörders Klaus Grabowski. Den Mehrfachtäter hatten die Ärzte nach einer Kastration mit Hormonen behandelt, damit er wieder ein fast normaler Mann werde. Ein Jahr danach ermordete er Anna. Als das Lübecker Gericht Marianne Bachmeier nach monatelangen Verhandlungen zu sechs Jahren Haft verurteilte, ermittelte Allensbach, daß nur 27 Prozent aller Befragten die Strafe als zu hoch empfanden und 25 Prozent die Strafe für zu niedrig. Drei Jahre Gefängnis saß sie ab.
Der Wirbel um ihre Tat hörte später nicht auf. Zwei Filmemacher stritten sich um ihre Geschichte. „Annas Mutter“ hieß der Streifen von Burckhard Driest, „Der Fall Bachmeier“ der von Hark Bohm. Realität und Kino vermischten sich, auch Marianne Bachmeier begann von sich in der dritten Person zu sprechen. Das „Orginal“ hätte die Rolle der tötenden Löwin am besten spielen können, befand nicht nur der Spiegel. Mitte der 80er Jahre zog die „leidenschaftliche“ Frau (Stern) nach Nigeria. Die letzten vier Jahre verbrachte sie in Palermo. In Lübeck erlag sie am vergangenen Dienstag einem Krebsleiden. Sie ist nur 46 Jahre alt geworden. Anita Kugler
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