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„Das Pflänzlein muß kultiviert werden“

■ Krawalle fleischlos: Drei Schlachter angegriffen / Empörung im Viertel / Polizeipräsident: Feier war richtig

Der Montag nach den Silvesterkrawallen, die Stimmung im Viertel: Empörung. Niemand auf dem Ostertorsteinweg, der Sympathie für die Krawallistas hätte. Ganz im Gegensatz zu den vergangenen Jahren gab es nicht ein Wort des Verständnisses für frustrierte Jugendliche. Daß gerade die Scheiben der kleinen und kleinsten Geschäfte der alteingesessenen ostertorschen Kaufleute eingeschmissen worden sind, das versteht im Viertel niemand. Und schon gar nicht, daß dem Ortsamtsleiter Robert Bücking gleich zweimal hinterrücks eine Bierflasche über den Schädel geschlagen worden ist. „Die hatten kein positives Ziel“, sagte ein Geschäftsmann. „Denen ging es allein ums Kaputtmachen.“

Der zweite Tag danach – wieder ein Tag ohne Erklärung von den TäterInnen. Daß es sich diesmal nicht um eine spontane Aktion, angestoßen durch eine kleine Gruppe, gehandelt hat, das scheint allerdings auch ohne ein Wort der Begründung klar. Eine Stunde vor dem Beginn der Gewalttätigkeiten waren auch bei den VeranstalterInnen der Open-Air-Fete die ersten Nachrichten von einem geplanten Angriff durchgesickert. Eine straff organisierte Gruppe von 30-40 Autonomen wolten vor allem eines verhindern: Daß der Plan einer friedlichen Feier unter Einschluß der Polizei aufgeht. Die Strategie: Zuerst sollte die Hip-Hop-Party am Goethe-Theater in die Konfrontation mit der Polizei getrieben werden, in dieser aufgeputschten Atmosphäre sollte dann der Marsch auf die Sielwallkreuzung beginnen. Daraus wurde nichts. Die Besucher der Hip-Hop-Party wollten lieber feiern als randalieren.

Keine Erklärung der TäterInnen, das ist die Atmosphäre, in der die Spekulationen ins Kraut schießen: Der Krawall ist fleischlos. Öko-Schlachter Groth vom Sielwall wird schon seit Monaten von Hard-Core-VegetarierInnen drangsaliert. Der Silvesterangriff auf sein Geschäft war so heftig, daß nicht nur die Schaufensterscheibe, sondern auch noch die Scheibe am Tresen in die Brüche ging. Auch beim Schlachter Eckel am Goethe-Theater klirrten die Scheiben. Aber auch ganz weit weg vom Ort der Feier bei der Fleischerei Pflugk an der Ecke Feldstraße/Fesenfeld mußte nun schon zum zweitenmal innerhalb kurzer Zeit die Schaufensterscheibe erneuert werden.

Der Montag danach, auch ein Tag der politischen Erklärungen. „Nicht tragfähig“, war das kurze Fazit der CDU über das Konzept Feier statt Feuer. „Das Experiment sollte eine zweite Chance bekommen“, meinte dagegen Axel Adamietz von der FDP. „Unter dem Strich ein Erfolg“, bilanzierte der Grüne Hermann Kuhn. Die Grünen würden auch weiterhin den Versuch unterstützen, gesellschaftliche Konflikte mit zivilen Mitteln auszutragen – mit der Hoffnung, daß beim nächsten mal mehr BremerInnen da sind, die sich dazwischenstellen.

Der Hoffnung kann sich Polizeipräsident Rolf Lüken nur anschließen: „Der Ansatz ist gelungen“, meinte er, trotz der Schaufensterscheiben, trotz der fünf abgefackelten Autos. Und trotz der mäßigen Erfolge der Polizei, die TäterInnen dingfest zu machen.

Lüken, der selbst eine Stunde auf am Sielwall zugebracht hatte, steht zu der Idee der Nacht: „Man darf sich von so einem Rückschlag nicht beirren lassen. Das Pflänzlein muß kultiviert werden.“ J.G.

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