: „Das Licht der Welt erblicken“
Dr. Veronika Carstens spricht auf die gleiche Art wie alle Redner/innen auf den Veranstaltungen, die sich um Frauenprobleme bemühen: langsam, fast nachdenklich, ihrer Sache sicher, verständnisheischend, höflich. Frau Carstens wirbt für das Leben, an erster Stelle für das ungeborene. „Das Licht der Welt erblicken“ lautet am Donnerstagabend das Motto der Kundgebung, die zwar im Rahmen des Katholikentages stattfindet, aber von dem Verein „Aktion Leben“ veranstaltet wird. Der als militant gefürchtete Verein macht seinem Ruf alle Ehre: Hochglanzprospekte mit den Abbildungen abgetriebener Föten verbreiten am Rande des Marktplatzes Ekel und Schrecken. Quasi als Gegengift wird zwischen den Redebeiträgen gesungen: „Das ist der Aufstand der Hoffnung! Wähle das Leben!“ Die Melodie ist eingängig, alle summen mit. Etwa 3000 Menschen verfolgen die Kundgebung. Sie machen sich gegenseitig auf die Fernsehkameras aufmerksam, für die der Platz in gleißendes Licht getaucht wurde. Sie lachen über einen unverdrossenen Heimwerker, der bei offenem Fenster lautstark bohrt. Sie essen Pizza und klatschen, wenn alle klatschen: zum Beispiel, als Rita Waschbüsch, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ausruft: „Abtreibung ist frauenfeindlich!“ Die Abtreibungsgegner/innen haben argumentativ aufgeholt. Sie sprechen die psychischen Probleme an. Sie wissen: „Auch Männer kriegen Kinder.“ Und es seien verantwortungslose Männer, die ihre Frauen zur Abtreibung zwängen. „Selbstverständlich benutze ich Präservative“, brüstet sich ein Zuschauer - als gäbe es keine päpstliche Enzyklika, die Verhütungsmittel verbietet. Gummiaufblasende Männergrüppler möchte er aber am liebsten vom Platz weisen lassen. Die sind ihm zu ver bohrt und intolerant. Auch viele Jugendliche finden die Trillerpfeifen der Gegendemonstranten undemokratisch - genauso verurteilen sie jedoch einen katholischen Mann, der ein Transparent herunterreißt. Die älteren Herrschaften schimpfen leise vor sich hin: „Die jungen Dinger, die haben kein Gewissen!“ Die „Frauenkoordinationsgruppe gegen § 218“, ein breites Aktionsbündnis über aktive Katholikinnen hinaus, hatte schon die ganze Woche Flugblätter verteilt: „Wir sind keine Mörderinnen.“ Die verhältnismäßig geringe Zahl der Kundgebungsteilnehmer/innen gibt ihrer Einschätzung recht: die „Aktion Leben“ ist eine kleine radikale Minderheit, die die moralische Grundhaltung der Kirchentagsbesucher/innen geschickt für ihre Zwecke nutzt. Das gelingt ihr umso leichter, als Kirche und CDU sich seit einigen Jahren intensiver um „Frauen in Not“ kümmern. In fast allen bundesdeutschen Diözesen gibt es inzwischen Gesprächskreise für Alleinerziehende. Ein Vertreter des „Vereins alleinstehender Mütter und Väter“, Helmut Göbels, geißelt die für Alleinerziehende diskriminierende Steuergesetzgebung: „Das gilt auch für die Kirchensteuer!“ Die Sympathien der Zuhörerinnen sind auf seiner Seite. Ähnlichen Beifall erntet die katholische Gemeindereferentin Inge Steins, die als Geschiedene in der Pfarre arbeitet, der aber die Kündigung droht, sollte sie eine neue Männerbeziehung beginnen. Sie erzählt haarsträubende Fälle alltäglicher Diskriminierung: eine Alleinerziehende sei hilfesuchend zu ihr gekommen, weil ihr die Kündigung der Wohnung wegen unsoliden Lebenswandels drohte. Die Vermieterin kreidete ihr an, daß sie die Kinder manchmal abends allein ließ - man wisse ja, was solche Frauen trieben. Wer bisher dachte, so etwas könne nur noch in einsamen Bauerndörfern passieren, wurde eines Besseren belehrt. Die Pfarrgemeinde ist häufig, auch in den Städten, selbstverständliche Bezugsgröße für viele Frauen. In Lebenskrisen fragen sie den Pfarrer um Rat. Oder sie gehen zu einer der Eheberatungsstellen, die zu neunzig Prozent in kirchlicher Hand sind. In oft schmerzhaften Prozessen lernen Witwen und Geschiedene mit mißgünstigen katholischen Nachbarinnen umzugehen, deren Meinung sie nicht ignorieren wollen. Viele heiraten schleunigst wieder - verlieren damit aber den Zugang zu den Sakramenten. Trotzdem ist diese Gesprächsrunde am Donnerstag um Versöhnung bemüht. Die kirchliche Gemeinschaft ist spürbar: jede weiß, daß auch sie am Abbau von Diskriminierung mithelfen kann. In der Gemeinde zählt das „Zeugnis“ von einzelnen. Jede akzeptiert, daß sie Verantwortung trägt für das, was - von außen gesehen - die Kirche ist. Wo alle Kirche sind, bleibt der Protest gegen Mißstände notwendigerweise blaß. Auch in den Veranstaltungen zur feministischen Theologie ist der Geist der Mitverantwortung spürbar. In einem Arbeitskreis der „Kirche von unten“ bemühen sich die Teilnehmerinnen, herauszufinden, was „Maria für mein Leben bedeutet“. Es geht nicht um Entlarvung der Marienfigur als patriarchalisches Frauenbild (unbefleckt und Mutter). Es geht darum, die Mutter Gottes wieder zu einem Menschen zu machen - zu einer Frau mit Ängsten und ganz irdischen Freuden. Die patriarchalischen Fundamente der Kirche werden angegriffen - nicht jedoch der Gott– Glaube an sich. Pfarrer Dr. Wilhelm Bruners faßt diese neue Richtung in der offiziellen Podiumsdiskussion „Frauen und Kirche“ so zusammen: „Immer habe ich Gott als Vater gedacht. Gott, unsere gute Mutter, oder Frau Gott - das kannte ich nicht.“ Welch gewaltige theoretische Anstrengung hier gemacht werden muß, um dem gütigen alten Mann im Himmel ein weibliches Image überzustülpen, wird deutlich, als zwischendurch ein Lied angestimmt wird: „Laßt uns danken dem Herrn!“ Die Herrin kommt in Kirchenliedern nicht vor. Die Veranstaltung ist mit etwa 700 Teilnehmerinnen überfüllt: größtenteils Jugendliche, aber auch ältere Frauen mit breiter Erfahrung in kirchlicher Basisarbeit und einige Ordensschwestern. Zwei Themenkreise beschäftigen das Publikum intensiv: die Diskriminierung von Frauen in der kirchlichen Hierarchie und die Frage der „Komplementarität“ der Geschlechter. Unmißverständlich stellt die feministische Neutestamentlerin Dr. Elisabeth Gössman fest: Es gibt keine stichhaltigen theologischen Gründe, Frauen das Priesteramt zu verbieten. „Der Papst braucht ein weibliches Gegenstück“, meint jemand aus dem Publikum. Kichernd finden viele die Idee hervorragend - während ältere Frauen dieses Sakrileg mit versteinertem Gesicht übergehen. Die zweite Frage ist schwieriger: Wenn die Kirche so patriarchalisch ist - was würde sie gewinnen, wenn Frauen mehr Macht über sie hätten? Die „Dimension der Zärtlichkeit“, meint Pfarrer Dr. Bruners. Das ist der gemeinsame Nenner. Nonnen nicken beifällig; ältere Frauen ergänzen: „Mütterlichkeit“. Ein Vater–Gott reicht nicht aus, um Laiinnen an die Kirche zu binden; zur Religiosität ist das weibliche Element vonnöten. Vielen Teilnehmerinnen ist die Gefährlichkeit einer solchen Festlegung aufs spezifisch Weibliche bewußt. Die Geschlechter müßten sich nicht nur gegenseitig ergänzen; sondern jede/r einzelne müsse ihre/seine individuellen Eigenschaften ausleben dürfen. „Ich möchte mir meine Rationalität nicht wegrationalisieren lassen“, ruft Frau Dr. Gössmann aus und erntet tosenden Beifall. C.Schewe
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