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■ SurfbrettDas Leipziger Literaturkollektiv

Leipzig, die alte Bücherstadt Deutschlands, feiert in der letzten Novemberwoche ihren „literarischen Herbst '97“, den sie unter das Generalthema „Passagen“ gestellt hat. An Walter Benjamin soll man dabei denken, an Graz und den steirischen Herbst kann man denken, wenngleich die Leipziger das vielleicht weniger mögen. Sie wollen schon ihre eigene Avantgarde entdecken, und es scheint ihnen zu gelingen, wenn auch erst unter dem letzten Stichwort des Festprogramms. Er heißt „Theatronet“. Darunter ist ein neuerlicher Versuch zu verstehen, das Internet zum kollektiven Autor von Texten zu machen, in diesem Fall eines Theaterstücks. Wer sich berufen fühlt, darf unter der Adresse rzaix530.rz.uni-leipzig.de/ ~dramat/theatro.htm daran mitschreiben. Die Idee einer anonymen Netzliteratur ist so alt wie das Internet selbst und leidet stets an einem ideologischen Überschwang, der auch im alten Leipzig seine Spuren hinterließ. In Wirklichkeit fehlt es weder der Literatur noch dem Internet an Texten, es fehlt an Autoren. Doch anders als vergleichbare Projekte, um die es heute ziemlich still geworden ist, wollen die Leipziger sich nicht mit dem Mysterium des Schreibens allein begnügen. Das Stück, das aus dem Netz kam, soll tatsächlich auf einer Bühne aufgeführt werden – passenderweise hat die Deutsche Bank das Internet Café in ihrem „Investors Club“ dafür zur Verfügung gestellt. Diese Umgebung wird den Schock des irdischen Bühnenlichts mildern; was bis jetzt an Text entstanden ist, stellt freilich harte Anforderungen an Schauspieler. Der letzte Nachtwächter von Leipzig beispielsweise wird von seiner Jugendliebe heimgesucht, die Szene ist abwechselnd ein Kirchenschiff und eine Theaterprobe mit anwesendem Regisseur. Aufgeführt wird die Sache vermutlich mehr Spaß machen als beim Lesen, das durch einen Programmierfehler des Webmasters unnötig erschwert wird: Die Zeilen lassen sich nicht am Bildschirmrand umbrechen, was zu einigen Irrfahrten mit der Maus zwingt, wenn man den Gesamtzusammenhang erkennen möchte.

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