: Das Leben noch einmal versuchen
Hippen empfiehlt: „Die Tür“ von Anno Saul ist eine hochromantische Schauermär voller Schuld und Doppelgänger – inklusive dämonischem Blockwart
Von Wilfried Hippen
Im Leben gibt es keine zweiten Chancen. Was aber – wenn doch? Wenn wir einen schweren Fehler, durch den wir einen unheilbaren Schaden erlitten haben, korrigieren könnten? Wenn wir als ältere, reifere Menschen die Fehltritte unserer Jugend zurücknehmen könnten? Darüber spekuliert Anno Saul in dieser stimmungsvollen Adaption des Romans „Die Damalstür“ von Akif Pirincci.
Der Maler David lebte mit seiner Familie in guten und geordneten Verhältnissen, aber dann hat er sich für einen kurzen Moment nicht um seine kleine Tochter gekümmert und sie ist in den Swimmingpool gefallen und ertrunken. An dieser Tragödie scheitert nicht nur Davids Ehe, sondern sein gesamter Lebensentwurf.
Er trägt seine Verzweiflung und Schuld fünf Jahre lang mit sich herum, bis er schließlich kurz davor ist, Selbstmord zu begehen. Doch dann öffnet er eher zufällig eine mysteriöse Tür und stolpert durch einen dunklen Gang in seine Nachbarschaft von vor genau fünf Jahren. In dieser Parallelwelt lebt seine Tochter noch und er kann sie gerade im richtigen Moment retten.
Aber schon daran, dass die düsteren Töne und die bedrohliche Grundstimmung vom Beginn des Films an in dieser Parallelwelt weiter vorherrschen, kann man erkennen, dass sie alles andere als eine schöne neue Welt ist.
Von Anfang an belädt David sich erneut mit Schuld, denn als er auf sein alternatives Ich trifft, tötet er es in Panik und lebt nun dessen Leben. Doch seine Tochter spürt, dass er nicht ihr richtiger Vater ist und bald wird deutlich, dass in dieser Welt ganz eigene Gesetze gelten. Die auf den ersten Blick so nette Nachbarschaft wird nach und nach zu einer Höllenlandschaft, denn David ist längst nicht der Einzige, der diese Tür öffnet und dann töten muss, um eine zweite Chance zu bekommen.
Zudem sorgt hier eine Art dämonischer Blockwart für Ruhe und Ordnung. Dieser wird von Thomas Thieme gespielt, der damit schon seinen dritten „bösen Deutschen“ in diesem Jahr gibt, nachdem er in „Berlin 36“ als Nazi-Bonze und in „Liebe Mauer“ als Stasi-Major besetzt wurde.
Im deutschen Kino werden nicht viele von diesen Schauergeschichten erzählt. Dabei kommen sie aus der Tradition der deutschen Romantik des 19. Jahrhunderts. Dort waren phantastische Erzählungen mit düsteren Untertönen und Doppelgängern, die jeweils die dunkle Seite der Biedermänner auslebten, ein sehr beliebter Topos. In diesem Sinne stehen Pirincci und Saul in der Tradition eines E. T. A. Hoffmann, und der Filmemacher zollt diesem Erbe Tribut, wenn er einen blauen Schmetterling durch seinen Film flattern lässt. Todes-Metaphorik und Blau als die Farbe der unstillbaren Sehnsucht sind so geschickt sowie stimmungsvoll vereint, und auch sonst hat der Regisseur ein gutes Gefühl für dramatische Effekte. Bis zum Schluss überrascht er das Publikum mit immer neuen Verwicklungen und Enthüllungen. Cineasten erkennen die Anleihen bei Filmen wie „Die Dämonischen“ und „Die Frauen von Stepford“, die stimmig weiterentwickelt werden.
Als einziger nicht deutschsprechender Schauspieler ist der Däne Mads Mikkelsen als grübelnder, von Schuld geplagte Protagonist sehr glaubwürdig – und doch irritiert die Stimme seines Synchronsprechers. Wohl auch, weil nur er nicht genau so die Lippen bewegt, wie man ihn sprechen hört. Aber vielleicht ist ja auch dies ein Trick des Regisseurs, denn in dieser Geschichte von Doppelgängern ist der Held ja eben nicht mehr synchron mit der Welt.