: „Das Kapital nicht unterschätzen!“
Wie will Claudia Roth (45) leben? Im Chat mit taz-LeserInnen bekennt sich die Grünen-Vorsitzende zur radikalen Demokratie, zur sozialen Ökologie, zur Notwendigkeit der Reregulierung der Wirtschaft und zu ihrer Lieblingsband Ton Steine Scherben
live auf CHAT.TAZ.DE
Auf chat.taz.de diskutierten folgende TeilnehmerInnen mit Claudia Roth: Caliban, Gast703 (Gast), kiwi (Admin), smyrgel, XSteppenwolf27, Lisa.
smyrgel: Gruß in die Runde.
XSteppenwolf27: Ton Steine Scherben – hast du sie wirklich gemanagt?
ClaudiaRoth: Ja, ich habe gelebt und gearbeitet mit den Scherben von Anfang der 80er bis Mai 85, da hat sich die Band nämlich aufgelöst, um die Unabhängigkeit nicht zu verlieren.
smyrgel: Wenn es um Teilen geht: wie sieht dieses Teilen aus, wo du nicht mehr im Europaparlament sitzt?
ClaudiaRoth: Versteh ich nicht, wird nur im Europaparlament geteilt?
smyrgel: Andere Perspektiven?
ClaudiaRoth: Durch meine Zeit im Europäischen Parlament habe ich eine ziemlich genaue Vorstellung, wo politisches Handeln auf europäischer Ebene möglich und nötig ist: Entwicklungszusammenarbeit, Klimaschutz, Flüchtlingspolitik – und wir Europäer müssen die Frage stellen: Reichtum teilen oder einmauern?
XSteppenwolf27: Was war mit den Songs wie: Macht kaputt, was euch kaputt macht? Standest du dahinter?
ClaudiaRoth: Bin und bleibe Scherben-Fan.
smyrgel: Nein, aber es ist doch eigentlich eine der Hauptaufgaben, so verstehe ich Europa, Bestehendes zu verteilen und zusammenzubringen. Von daher der Frage, ob sich die Perspektive aus Berliner Sicht verändert?
ClaudiaRoth: Nicht verändert, aber es kommt die europäische als Chance dazu – also nicht der übliche enge nationale Blickwinkel.
Caliban: Grüne Außenpolitik wird vom Gespann Fischer/Volmer verkörpert. Wo, bitte schön, machen die internationalistische, grüne oder irgendwie linke Politik?
ClaudiaRoth: Die Frage ist, kann ein deutscher Außenminister grüne Politik pur machen und wo sind die Ansätze für eine andere Außenpolitik? Die gibt es: Lageberichte, Visumspolitik, Menschenrechte. Zivile Konfliktstrategien – ich wünsch mir natürlich noch mehr!
smyrgel: Was das Mauern angeht, so hast du ja im Zusammenhang mit dem taz-Kongress ein konkretes Beispiel bekommen. Wie geht das zusammen, Rot-Grün und die Entscheidung im Bezug auf Cissè aus dem Senegal?
(Madjiguène Cissè, der Sprecherin der französischen „Sans Papiers“ aus dem Senegal, wurde kurzfristig die Einreise zum taz-Kongress verweigert, weil sie keine Papiere hat. – Die Red.)
ClaudiaRoth: Erstens wird deutlich, dass das Ausländergesetz geändert werden muss, und zweitens muss der Umgang mit Menschen, die ein Visum beantragen, anders sein – ich bleibe am konkreten Fall dran.
Gast703: Warum schotten wir in der EU unseren Markt ab und zahlen lieber Entwicklungshilfe?
ClaudiaRoth: Es geht nicht um Hilfe, sondern um konkrete Entwicklungszusammenarbeit, die eigenständige Entwicklungen befördert und nicht verhindert. Und es muss Schluss sein mit einer Landwirtschaftspolitik, die arme Länder noch ärmer macht.
Caliban: Und warum haben die Grünen den internationalen Soli-Fonds so gut wie abgeschafft? Sieht nicht nach Teilen-Wollen aus!
ClaudiaRoth: Falsch, das hat nur mit richtigen Finanzproblemen bei uns zu tun.
smyrgel: Deine Antwort läßt in mir den Verdacht aufkommen, als lebten hier zwei Staaten unberührt von einander. Es muss doch in solchen Situationnen so etwas wie ein rotes Telefon geben, oder zumindest eine Gruppe, die Entscheidungen solcher Art generell untersuchen. Nicht erst fünf Jahre nach deren angeblichen Inkrafttreten, oder?
ClaudiaRoth: Genau das werde ich hinterfragen, weil es einen Mechanismus gibt, der auch kurzfristig Entscheidungen möglich macht – aber es war ein Verbot für den gesamten Schengenraum – also komplizierter.
Lisa: Aber wann wird das Ausländergesetz geändert? Cissè ist ein prominentes Beispiel, aber hunderten von Asylbewerbern geht es viel schlechter! Man bekommt den Eindruck, dass die deutsche Ausländerpolitik zwischen den Ausländern, die Deutschland wirtschaftlich nützen (Greencard-Bewerber), und denen, die Deutschland „schaden“, unterscheidet!
ClaudiaRoth: Liebe Lisa – das ist ja nun gerade die politische Auseinandersetzung: Einwanderung gestalten, Asylrecht schützen und Integration fördern – ich hoffe, dass es in dieser Legislatur zu Verbesserungen kommt.
Gast703: Führt die grüne Landwirtschaftspolitik nicht zu noch mehr Abschottung?
ClaudiaRoth: Nein, sondern zu Regionalisierung – also weniger Transporte, mehr Transparenz, direkte Vermarktung. Die Förderung der bäuerlichen und der ökologischen Landwirtschaft ist keine Abschottung, sondern eine Überlebensfrage.
XSteppenwolf27: Haben wir eigentlich das richtige Wirtschaftssystem, wenn’s ums Teilen geht? Laufen wir nicht immer mehr Gefahr, unsolidarischer zu werden?
ClaudiaRoth: Wenn das sozial vor der Marktwirtschaft nicht getilgt wird – nicht. Und wenn Solidarität und Gerechtigkeit heißt, zwischen den Generationen und den Regionen. Und wenn wir nicht vergessen, dass Eigentum verpflichtet.
smyrgel: Teilen hat doch eine andere Qualität bekommen. So hat das angestrebte Freihandelsabkommen, als Folgeprogramm des Gatt-Abkommens, zur Folge, das die USA auf die Wasserreserven Kanadas zurückgreifen können. Auch in Europa wird immer deutlicher, wie stark der wirtschaftliche Gedanke im Vordergrund steht. Wie hoch schätzt du denn die Chance ein, hier zu einer Politik der Völkerverständigung zu finden? Nur dann sehe ich eine Chance zur größeren Akzeptanz.
Caliban: Stehen die Neoliberalen bei den Grünen nicht für das Gegenteil?
ClaudiaRoth: Wir sind nicht neoliberal, sondern ich kämpfe für die radikaldemokratischen Grünen. Und mehr und mehr wird klar, dass wir eine sozial-ökologische Partei sind – für Neoliberalismus sind andere zuständig
Gast703: Steht Deregulierung dem Teilen nicht diametral entgegen?
ClaudiaRoth: Deswegen geht es um Reregulierung.
smyrgel: Da habe ich aber auch meine Bedenken, wenn ich an den Verkauf der Wasserrechte in unserer Region an Eon denke. Da wird mir ganz anders. Kein Unternehmen kauft ohne Profitgedanken. Wird der nach herkömmlicher Art und Weise durchgeführt, so zahlen die Kleinkonsumenten die Rabatte der Großen. Sollte nicht in bestimmten Sparten wie etwa Wasser eine Privatisierung unterbunden werden?
ClaudiaRoth: Natürliche Ressourcen wie Grundwasser sind nicht zu privatisieren. Der Zugang dazu muss für alle gewährt sein.
Gast399: Aber auf solch eine Einsicht zu warten, ist vielleicht doch etwas idealistisch. Wer wird denn schon dafür belohnt, mittelfristig zu denken?
ClaudiaRoth: Das Kapital nicht unterschätzen! Tatsache ist: In den Think Tanks großer Unternehmen wird darüber nachgedacht, dass sich Deregulierung und kurzfristiger Profit ökonomisch nicht lohnen.
smyrgel: Bevor diese Runde sich wegen Zeitüberschreitung wieder auflöst: Thanx Claudia, für diese Runde, auch wenn es technisch etwas gemächlich verläuft. Sollte fortgesetzt werden.
ClaudiaRoth: Thanx. Aber ich kann nicht schneller tippen. Schlaf gut.
XSteppenwolf27: Na, ich denke, jeder, der an den Hungerstreiks beteiligt ist, weiß, was er macht.
Caliban: Warum ergreift die rot-grüne Bundesregierung, zum Beispiel auf dem nächsten G-8-Gipfel, keine sozial-ökologische Initiative, um die Weltwirtschaft in dem von uns gewünschten Sinne zu reformieren?
ClaudiaRoth: Die Bundesregierung sollte ihr Konzept zur Armutsbekämpfung in die G 8 einbringen – richtig.
ClaudiaRoth: Liebe BesucherInnen – ich wünsche einen wunderschönen Samstagabend. Rio hätte gesagt, schlaft schön miteinander und träumt gut.
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