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Das Gipfeltreffen versetzt Kabul in Unruhe

■ Afghanistan als Tagesordnungspunkt des Gipfeltreffens macht den Afghanen ihre Rolle als Spielball der Supermächte deutlich / Die Basis der Regierung orientiert sich um / Distanzierung vom harten Parteikern / Mudjaheddin entwickeln Mißtrauen gegenüber den USA

Kabul (wps) - Während sich Gorbatschow und Reagan zu ihrer historischen Gipfelkonferenz in Washington treffen, herrscht Aufregung in der staubigen Hauptstadt Afghanistans. Im Zeichen dieser „Gipfelunruhen“ stieg am Montag in den Wechselbuden der Geldleiher auf dem Shazada Markt der US–Dollar. Dieser Geldmarkt, auf dem alle Währungen frei gehandelt werden, ist sicher einer der letzten, auf dem der Dollar im Moment noch steigt. Der Rubel dagegen ist ganz unten. Auch die von der Sowjetregierung gestützte regierende Partei, die „Peoples Democratic Party of Afghanistan“, scheint sich ihrer Sache nicht mehr ganz so sicher zu sein und läßt in ihrer prosowjetischen, „revolutionären“ Rhetorik merklich nach. In den letzten Wochen konnte Staatspräsident Naji bullah nicht genug der lobenden Worte für die beiden Friedensfürsten Gorbatschow und Reagan finden. Vor acht Monaten dagegen wurde noch anläßlich des Jahrestages der Revolution von 1978 in einer Agitprop–Parodie „Uncle Sam“ zu Boden geworfen und von den nach Freiheit schreienden afghanischen Massen getötet. Während die einen US–Dollars horten und sich eher von der Regierungspartei distanzieren, stellt sich für andere die vielleicht einmal lebenswichtige Frage, wie sie noch enger mit den Sowjets zusammen arbeiten können, um bei einem eventuellen sowjetischen Rückzug nicht in Afghanistan zurückgelassen zu werden. Vor allem die Dari sprechenden Kabuler, Basis der regierenden Partei, und die vielen Tausende, die in der Sowjetunion studiert haben und russisch sprechen, laufen bei einem Rückzug der Sowjets Gefahr, als sowjetische Kollaborateure angeklagt zu werden. Für die „kleinen“ Parteimitglieder, die Regierungsangestellten und Soldaten, die bei einem sowjetischen Rückzug in Afghanistan zurückbleiben würden, wird es immer wichtiger, sich vom harten Parteikern zu distanzieren. Deshalb versucht man, nicht zu sehr für die Regierung zu sein, aber auch nicht zu sehr dagegen. Laut Mohammed Akram, dem Kommandanten der neuen Militärakademie, konnte die Armee nur 350 Kadetten für die 400 zu Verfügung stehenden Plätze aufbringen. Der Student auf dieser Elite–Schule hat gleichzeitig das Image eines disziplinierten Parteimitglieds - und das ist im Moment gewagt. Die Nervosität in Kabul erreichte ihren Höhepunkt, als letzte Woche sowohl Reagan als auch Gorbatschow verlauten ließen, daß während des Gipfels Afghanistan zur Sprache käme. Mudjaheddin mißtrauen USA Die Unruhe, die dadurch entstand, zeigt, wie dieses 15–Millionen– Volk, von dem vier Millionen in Flüchtlingslagern in Pakistan und Iran leben, seine eigene Lage einschätzt: als Spielball der Supermächte.Der Führer der moslemischen afghanischen Guerillagruppe „Hesbi Islami“, Gulbaddin Hekmatyar, hat sich gegen eine mögliche amerikanisch–sowjetische Absprache beim Gipfeltreffen über einen Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan ausgesprochen. Washington und Moskau würden bei dem Gedanken an das erstrebte Ziel der Aufständischen, einer islamischen Regierung in Kabul, „nervös“, sagte Hekmatyar.

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