berliner szenen: Das Geheimnis des Lebens
Kann doch wohl nicht wahr sein.“ Ich stehe mit Greta vor dem Ladenlokal auf der Bergmannstraße. Die Fenster sind verklebt, die Eingangstür ist halb geöffnet, drinnen wummert es. Wir sind verzweifelt. Unser Café hat mal wieder zugemacht. „Stand ja in der Zeitung, dass sie den Laden an diese norwegische Kette verkauft haben. War zu erwarten.“
Zugegeben. Im Grunde war es eine Hassliebe. „Zuerst habe ich den Laden boykottiert. War ja auch ne blöde Kette, haben die Espressolounge verdrängt. Später bin ich dann doch mal rein: nicht so voll, nette Bedienung, große Fenster. Aber das jetzt ist ja noch schlimmer“, agitiere ich Greta, die erst seit Kurzem im Kiez lebt. Sich aber gern auf einen Kaffee in dem kollektiven Wohnzimmer trifft. Ich deute auf die Plakate auf den Schaufenstern. Himmelblaues Gebäck wirbt für eine schöne, heile Croissant-Welt. Nach dem Pralinenschuppen noch so ein Shop, vor dem die schwäbischen Touris, die samstags in Gore-Tex-Klamotten über Kreuzbergs einstige Trödelmeile lustwandeln, bald so tun werden, als ob sie noch nie frisches Brot gesehen hätten. Kann hier nicht mal irgendjemand einen hypefreien Laden mit Sachen eröffnen, die man wirklich braucht: Geschirr, Werkzeuge, Nähbedarf? „Eh alles schon Ballermann hier“, nörgle ich.
Was tun? In die Bohème-Legebatterie nebenan ausweichen? Wo soll ich jetzt meine Sonntagszeitung lesen? Wir können uns gar nicht vorstellen, dass in der französisch getarnten Heißluftbäckerei in spe das zu finden sein wird, was wir noch vor ein paar Tagen zu erkennen glaubten, wenn wir in den weinroten Ohrensesseln saßen, aus dem Schaufenster auf den Strom der glasigen Flaneure oder in den Himmel blickten, und was jetzt die verklebten Fenster versprechen: „Das Geheimnis des Lebens“. Ingo Arend
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen