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Das Fest des Anders-Seins

■ Die zweite „Nacht der Bremer Jugend“ gilt Sinti und Roma. Deren Landesverband feiert 20.ten Geburtstag – und den Erfolg, dass unzählige Jugendliche mitfeiern wollen

Hochspannung im Bremer Rathaus: Der wertvolle französische Artemis-Gobelin im Treppenhaus ist in Plastik gehüllt, andere historische Gegenstände sind gleich ganz in Sicherheit gebracht. Draußen vorm Portal wartet derweil ein TV-Team von Buten-und-Binnen. „Ihr müsst auf alles gefasst sein“, wird die Gruppe auf die bevorstehende 20. Geburtstagsfeier des „Landesverbands der Bremer Sinti und Roma“ eingeschworen. Dessen Landesvorsitzender, Ewald Hanstein, soll nachher zur „Nacht der Jugend“ live vor die Kamera.

Der 75-Jährige verströmt drinnen unterdessen erwartungsvolle Zuversicht. Dass die bevorstehende Feier ein Misserfolg werden könnte – nein, das scheint ihm undenkbar. „Dass Bremer Jugendliche sich daran beteiligen, unseren Geburtstag auszurichten, ist doch ein großer Erfolg“, sagt er.

Der Mann, der sich so aufrecht hält, dass man ihm sein Lebensalter kaum ansieht, weiß wovon er spricht. Er wurde als 18-Jähriger aus Berlin verschleppt, hat drei Konzentrationslager überlebt. Nach der Befreiung '45 lebte er neun Jahre, bis zur Flucht, in der DDR, seine Kinder sind in Bremen geboren – „wo Sinti und Roma nach der Befreiung 1945 übrigens direkt an dem Ort untergebracht wurden, wo vorher ein KZ stand.“ Hanstein selbst kämpfte über 20 Jahre lang um Entschädigungszahlungen für die Folgen der KZ-Haft. Die Namen von Bremer Behördenangestellten, die Sinti und Roma einst ins KZ gebracht hatten, „und danach weiter da saßen und gegen uns arbeiteten“, sind ihm bekannt. Deshalb freut ihn besonders, dass die bevorstehende Feier mit Jugendlichen aller Glaubensrichtungen und verschiedenster Herkunft ausgerichtet wird. „Auf die Jugend setze ich heute alles“, sagt Hanstein.

Der Stratege im „politischen Feuilleton“ des Bremer Rathauses, Helmut Haffner, weiß das schon lange. Seit er unter Koschnick für „besondere Aufgaben“ ins Rathaus berufen wurde, macht er sich dort auch für die Anliegen der Sinti und Roma stark. Die Veranstaltung unter dem Motto „Das Recht anders zu sein“ ist ein bisschen auch ein ganz persönliches Dankeschön für sein eigenes Überleben. „Mir hat ein Zigeuner das Leben gerettet, als ich sechs Jahre alt war“, sagt er. Beim Frösche fangen am Seeufer war er abgeglitten – ein Sinto fischte den kleinen Nichtschwimmer aus dem Wasser. „Seitdem ist ,Zigeuner' bei uns in der Familie ein heiliges Wort“, sagt Haffner – und auch, dass sich ihm damit eine neue Welt öffnete. „Bis dahin hatte ich nur Schlechtes von Zigeunern gehört.“ Heute hat er manche zu Freunden. Entsprechend herzlich und mit Umarmung fällt die Begrüßung mit Hanstein im Oberen Rathaussaal aus – und gleichermaßen begeistert klatschen die beiden Männer nach der Sound-Check-Kostprobe der ungarischen Musikgruppe „Rajko“. „Musik ist unsere Kultur“, schwärmt Hanstein – wenn auch ein bisschen verständnislos, dass keiner der Musiker auf der Bühne auf Romanes mit ihm sprechen kann. „Die Diktatur und die Verfolgung in Ungarn haben dafür gesorgt, dass viele Sinti und Roma sich dort lange versteckt haben“, erklärt zwar der Chef der Gruppe. Aber Hanstein schüttelt den Kopf. „Ich bin doch auch Deutscher und spreche trotzdem meine Muttersprache Romanes.“ Dann schwärmt er von der Musik. Nein, keine Zigeunermusik. „Das Wort Zigeuner ist für mich ein Schimpfwort. Ich bin kein ziehender Gauner.“ Aber Musik sei das wichtigste Element seiner Kultur, die Wurzeln seiner Tradition. „Damit zeigen wir, was wir können – musikalisch sind wir vielen voraus.“

Manche Musiker allerdings sind ihrer Zeit ein wenig hinterher. „Wo ist Romano?“, ruft jemand aufgeregt. Der Sound-Check für die Hip Hoppers von „Gypsy Vibes“ hätte schon anfangen sollen. Derweil bauen die Bauwägler vom Weidedamm, jetzt Lesum, in Seelenruhe ihre Ausstellung auf. „Wir leben doch auch ein bißchen anders.“ ede

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