Das Ende von Woolworth: Ausgewühlt!
Woolworth war einmal ein Ausflug in unbegrenzte Möglichkeiten. Dann kam das Mittelmaß, jetzt kommt die Pleite.
War das früher aufregend, einkaufen bei Woolworth! Als die ersten Filialen die deutschen Städte eroberten und Teenager und Hausfrauen von ihren knappen Budgets befreiten, hieß die Kaufhauskette allerdings überall nur "Wollwort". Und hier gab es alles, und alles konnte man sich irgendwie leisten. Wenn Wollwort in die Kleinstadt einzog, öffnete sich die große Welt. Man konnte mit der Freundin shoppen gehen - ohne Elternbegleitung und damit ohne mütterliche Zensur ("Diesen billigen Fummel findest du schön?"). "Komm, lass uns noch zu Wuhli!" Das war ein Ausflug mit unbegrenzten Möglichkeiten.
Heute ist Einkaufen bei Woolworth längst nicht mehr so spektakulär. Gibt es doch auf dem Billigsektor jede Menge Konkurrenz. Ein komplett überflüssiges Beauty-Set pinkfarbener Lockenwickler mit Spezialverstärker "aus der TV-Werbung" anzubieten ist längst kein Alleinstellungsmerkmal. Doch die Nachricht, dass Woolworth Insolvenz angemeldet hat, treibt eine ganze Menge alter Stammkunden wieder in die Filialen. Im Berliner Bezirk Neukölln waren die Geschäfte gestern deutlich voller als sonst. Vor der immer schon beeindruckenden Auswahl an fleischfarbener Unterwäsche in Übergrößen drängeln sich die, die hoffen, noch ein Schnäppchen zu machen. Zwei Mädchen befingern sehnsuchtsvoll die Verpackung einer rosa Plastikpuppe, eine beleibte Frau überlegt, ob sie die neueste Ausgabe von "Dr. A. Winter, Der Arzt, der neue Hoffnung gibt" für ihre Sammlung erstehen sollte. "Kann ja sein, dass die morgen schon zumachen", sagt sie.
Dabei ist noch absolut nichts reduziert, die Osterware ist schon komplett verkauft. In Großbritannien, wo die Kaufhauskette schon im Dezember pleiteging, gab es nach Bekanntgabe der Insolvenz regelrechte Kämpfe um ein letztes Original-Woolworth-Tupperware-Imitat, in Deutschland geht es denkbar ruhiger zu. "Wir warten jetzt erst mal ab, was passieren wird", erklärt eine Verkäuferin.
Richtige Aufregung findet der Einkäufer mittlerweile anderswo, in den Shoppingmalls nach US-amerikanischem Vorbild. Hier gibt es alles - und noch mehr. Zwar blicken auch ähnliche Stoffstücke aus verschiedenen Läden. Aber die Auswahl ist größer und die Hoffnung, doch eine Überraschung zu entdecken. Wenn nicht, dann holt man sich eben ein Eis oder eine Pizza, geht ins Kino oder zum Friseur. Der Ausflug war trotzdem ein Erlebnis.
Große Einkaufszentren boomen, die Kaufhausketten sterben aus, die Innenstädte werden leerer. Wo Woolworth war, könnte bald "Zu vermieten" stehen. Johann Rüsch, Handelsexperte der Gewerkschaft Ver.di, geht davon aus, dass es vermutlich tiefe Einschnitte beim Filialnetz geben wird. 311 Läden hat Woolworth in Deutschland. "Die Nahversorgung wird leiden", warnt er. Die knapp 9.000 Woolworth-Mitarbeiter auch. Die Auslandstöchter des US-Ursprungskonzerns Woolworths hatten sich in den Achtziger- und Neunzigerjahren abgespalten. Das deutsche Geschäft gehört seit 1998 dem Finanzinvestor Electra. Nach der Pleite der britischen Woolworth-Kette sind die Geschäfte in Deutschland nun der Überrest.
Der Woolworth-Insolvenzverwalter Ottmar Hermann gibt sich optimistisch. Nachdem er am Dienstag noch von einer "außerordentlich schwierigen Lage" sprach, sagte er am Mittwoch: "Ich denke, es gibt gute Chancen, dass es weitergeht." Für die Woolworth-Mitarbeiter seien noch keine Kündigungen ausgesprochen worden. Auch die Löhne und Gehälter habe man bis März 2009 bezahlt. Erste Investoren hätten bereits Interesse gezeigt. Wer, verrät er nicht. Dem Anwalt selbst gehen die Aufträge so schnell nicht aus. Erst letzte Woche beauftragte der Cabriobauer Karmann ihn mit dem Abwickeln seiner Pleite.
"Es dürfte wahnsinnig schwer werden, einen Investor zu finden" für Woolworth, sagt Konsumforscher Wolfgang Twardawa von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Das Unternehmen habe kein eigenes Profil. Über die Waren bei Woolworth könnte man dasselbe sagen. Gerade in der Krise wollen Verbraucher jedoch das Besondere.
Damit trotz weniger Geld die Shopping-Befriedigung gleich bleibt, rückt die Jagd nach der Trophäe in den Mittelpunkt. Die Suche selbst muss Spaß machen - ob in der Mall oder auf dem Flohmarkt. Zum Einkauf gibt es soziale Begegnungen gleich dazu. Vielleicht ergattert man auch das unerwartete Unikat. Woolworth dagegen überrascht nicht. Dort findet man höchstens "Einzelstücke" in Glitzerbuchstaben auf fünfzig T-Shirt-Vorderseiten.
Woolworth ist Mittelmaß. Der Konsumforscher Twardawa nennt das "Sandwichposition". Woolworth war nicht edel. War zwar günstig, aber richtig billig sind die Discounter. Während das Premium-Segment relativ stabil bleibt in der Krise und die Discounter profitieren, wird dazwischen geschröpft. Ver.di-Experte Rösch kritisiert eine "missglückte Sortimentstrategie" und "gravierende Fehlentscheidungen" der Führung. Rösch sieht für Woolworth nur eine Option: Das Unternehmen müsse sich ganz klar als Discount-Warenhaus positionieren.
Aber das wäre dann nicht mehr Wuhli. Ausgewühlt.
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