Was den Deutschen wirklich Angst einjagt: Das Ende von Kaffee und Kuchen
Zu Hause bei Fremden
von Miguel Szymanski
Keine Angst, ich habe immer einen Job für dich“, sagt mein Freund Michael. Wir sitzen in einem Café in Kreuzberg, ich trinke einen Schluck vom Earl Grey. Ich weiß, er könnte mir mehrere Jobs besorgen: als Streifenpolizist, als Spaziergänger mit Hund oder als dunkelhäutiger Ausländer auf dem Bahnhofsvorplatz, wenn die Silvestertragödie aus Köln demnächst fiktional umgesetzt wird. Michael ist Geschäftsführer einer großen Komparsenagentur. Sein Angebot ist ein Running Gag zwischen uns.
Aber ich hatte keine Existenzangst, als ich vor drei Jahren mit meiner Frau und unseren zwei Töchtern von Portugal nach Deutschland auswandern musste: Wenn alle Stricke gerissen wären, hätte ich mich in Berlin mit Minigagen und sporadischem Schreiben oder Taxifahren über Wasser gehalten. Seine Datscha hat mir Michael vor drei Jahren auch angeboten, als provisorisches Zuhause, obwohl ich lediglich ein unverschämter Wirtschaftsflüchting war.
In Deutschland habe ich dann einen akzeptablen Job und eine eigene Wohnung gefunden, aber inzwischen ist mir mein unsicheres Dasein als freier Autor zwischen zwei Welten wieder wichtiger. Statt Statist im deutschen Trauerspiel des permanenten Angstzustands zu sein, schreibe ich mein Drehbuch lieber selbst.
Eine Million Flüchtlinge in einem 80-Millionen-Land, einem der reichsten Länder der Erde, ist nicht das Problem – Portugal nahm Mitte der 70er in einem Jahr 600.000 Afrika-Heimkehrer auf, hat nur ein Achtel der deutschen Bevölkerung, war damals und ist heute das ärmste Land Westeuropas. Das Problem ist das aus dem Gefühl der sozialen Bedrohung wiedererwachte elitär-primitive Gedankengut. Angst ist der beste Boden für mehr Angst. Die Kanzlerin versucht in der Flüchtlingskrise die Kirche und ihre Werte im Dorf zu lassen, aber die restliche Politikerkaste fürchtet das notorische Aufwallen im Land.
Wenn ich heute mit Menschen in Deutschland rede, stelle ich fest: Es kümmert sie kaum, was draußen in der Welt passiert. TTIP, Ceta oder das Leid der Menschen in benachbarten Ländern kennen sie nicht oder es interessiert sie nicht. Nachrichten aus dem Ausland lesen sie kaum. 57 Prozent der Menschen in Deutschland hatten bei der Europawahl vor zwei Jahren Besseres zu tun, als ihre Stimme geltend zu machen. Aber dann die Angst vor der Überfremdung und dem Ende von Kaffee und Kuchen.
Vom Leben als Komparsen im deutschen Trauerspiel ist die Distanz zum Marionettendasein klein: Der Durchschnittsbürger verkommt zu einer nur mit dem Krisenmanagement seiner kleinen Alltagssorgen beschäftigten Ich-AG. Zwischen dem Einzelnen und den Machtzentralen verschwindet der Mittelbau, und der leere Raum füllt sich mit den neuen Anhängern alter rechtslastiger Parolen, die Angst schüren.
Das kollektive Ausschalten der Solidarität und der Zivilcourage sind überall zu beobachten. Es ist der Siegeszug der Angst. Daran wird Merkel nichts ändern können.
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