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Serie Das Auto im Jahre 101Das Ei aus der Retortenstadt

■ Ein Einheitsauto als Ideal–Typ für die gleichgeschaltete Gesellschaft / Die Wolfsburger verstehen sich als "zusammengewürfeltes Volk"

Aus einer höchst eigenwilligen Mischung von nationalsozialistischer Politik und amerikanischen Produktionskonzepten entsteht auf der grünen Wiese, dem späteren Wolfsburg, eine für ihre Zeit perfekte Produktionsmaschine. Das Produkt, von Porsche konstruiert, ist robust, billig, sparsam. Und die einzelnen Volkswagen gleichen einander wie ein Ei dem anderen. So sind sie geradezu der ästhetische Ausdruck einer Ideologie von Gleichschaltung und Kollektivwillen des Nationalsozialismus. Wie so vieles aus dieser Zeit erreichte der Volkswagen seine Adressaten, den Mittelstand, also breitere Bevölkerungsschichten, erst in den fünfziger und sechziger Jahren mit einem Erfolg, der an die legendäre Geschichte des Ford–T– Modells erinnert. Auch wenn es zu einer Serienproduktion des Volkswagens für private Zwecke bis zum Ende des Krieges nicht mehr kam, eröffnete die politisch initiierte Errichtung des Volkswagenwerkes im „Herzen des Reichsgebietes“ und der Aufbau einer dazugehörigen Stadt vom Reißbrett ein ganz neues Kapitel von Produktionsgeschichte und der Geschichte und soziologischen Zusammensetzung der Automobilarbeiter. Die Produktion sollte nach amerikanischen Konzepten laufen, Arbeiter und Wohnverhältnisse sollen nationalsozialistischen Vorstellungen entsprechen. Zusammen bildeten der Volkswagen und die „KdF–Stadt“ (Kraft–durch– Freude) bzw. die „Musterstadt des Führers“ ein synthetisches Gebilde, in dem die ausgewählten Bauhandwerker, Produktionsarbeiter und der schmale angeworbene „Mittelstand“ aus Selbständigen, Beamten, für den das Produkt gedacht ist, ihren eigenen Lebensstil, kulturelle und politische Orientierung, Konsumgewohnheit und Umgangsformen, erst mühsam finden mußten. Noch 1967 sehen sich die Wolfsburger, die in ihrer überwiegenden Zahl im VW–Werk arbeiten oder auch sonst irgendwie vom Werk abhängen, als „zusammengewürfeltes Volk“. Es verblüfft dabei umso mehr, daß dieses „zusammengewürfelte Volk“ in kurzer Zeitspanne nicht nur lernte, den rigiden Anforderungen der in dieser Form, trotz rationalisierter Produktion bei Opel und trotz der amerikanischen Neugründung Ford in Köln, bislang nicht bekannten Arbeitsorganisation zu genügen und präzise und disziplinierte Arbeit zu leisten. Ohne sich auf eine erfahrene Tradition der Produktion und des Produkts berufen zu können, entwickeln die Wolfsburger VW–Arbeiter ein „Wir“–Gefühl der Zugehörigkeit zu einem wichtigen Werk, in dem ein herausragendes Produkt hergestellt wird. Ein Gutteil der Identifikation mit der Arbeit wird in diesem Musterbeispiel gewaltsamer Industrialisierung unter Druck und offensichtlicher Einsicht über das Produkt und die Lebensform in einer synthetischen Stadt hergestellt. Die Erfahrung, an einer „innenkolonisatorischen Maßnahme“ beteiligt zu sein, wie der Stadtplaner Peter Koller die Stadtgründung nennt, und das Bewußtsein, mit einem Auto Geschichte zu machen, bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Bindung der VW–Arbeiter an das Werk. Widerspruchslos kann der erste Generaldirektor Anfang der sechziger Jahre auf einer Betriebsversammlung mit dem kollektiv–patriarchalischen Gestus vergangener Zeiten die anwesenden VW–Arbeiter mit: „Liebe Arbeitskameraden“ anreden. Mit der bewußt geplanten Synthese von Produkt, Arbeitsverhältnissen und Wohnverhältnissen wird in Wolfsburg zum ersten Male in der Geschichte der Automobilproduktion ein neuer Arbeitertypus mitentworfen: der Massenarbeiter. In dieser Konstellation ist der klassische und neue Facharbeiter der Automobilproduktion weitgehend aus der Produktion verdrängt, seine Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit innerhalb des Produktionsprozesses aufgelöst in der „wissenschaftlichen“ Organisation der Arbeit, wie sie der amerikanische Ingenieur F.W. Taylor schon vor der Jahrhundertwende konzipiert hat. Das „production engineering“, die Umsetzung der Konstruktion in konkrete Schritte für die Werkstatt und der einzelnen Arbeiter wird im gleichen Zuge der Umstrukturierung des Arbeitsprozesses dem Industriemeister entzogen. Was bleibt, sind im wesentlichen angelernte Maschinenbedie ner, Montagearbeiter und -arbeiterinnen und im Verhältnis wenige spezialisierte Techniker und Ingenieure. Der einzelne Arbeitsvollzug ist kurz, die Arbeit automatisiert. Dieser Form stehen die Erinnerung an zusammenhängende Arbeitsvollzüge und der Anspruch auf Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit nur störend entgegen. Konsequenterweise hatten die beiden Geschäftsführer der Aufbaugesellschaft für das VW–Werk, F. Porsche und J. Werlin, noch bevor am 25. Mai 1938 der Grundstein gelegt wurde, während zweier Aufenthalte in Amerika die Bedingungen für die Massenproduktion von Automobilen studiert, viele Werkzeugmaschinen bestellt und eine Anzahl aus Deutschland stammender Fachleute für die industrielle Serienfertigung von Autos angeworben. Zwar gingen die Planer auch davon aus, daß in der ersten Anlaufphase der Produktion die gehobenen Angestellten, Meister und gelernten Arbeiter überwiegen würden, aber nach Überwinden der Anlaufprobleme sollten überwiegend Arbeiter angeworben werden, deren herausragendes Kennzeichen in der Integrationsfähigkeit in die neue Produktion und die Akzeptanz der politischen Vorstellungen der Machthaber bestehen sollte. Als Motive für die Zuwanderung in die „Stadt des KdF–Wagens“ wurden später unabhängig von der beruflichen Qualifikation angegeben: höherer Lohn, sehr gute, nach neuesten technischen architektonischen Erkenntnissen ausgestattete Wohnungen, sowie der Wunsch, sich an neuen Aufgaben zu bewähren. Aber auch die Notwendigkeit, aus persönlich–beruflichen oder politischen Gründen die alte Umgebung zu verlassen. Man kann vermuten, daß viele dieser Menschen nicht nur zum Typus des Massenarbeiters gemacht wurden, sondern daß sie gleichzeitig Kolonisatoren waren, die sich mit und gegen die Gegebenheiten eine neue Heimat aufbauen wollten und mußten. Es mag historisch widersprüchlich erscheinen, daß ausgerechnet Nationalsozialisten Beförderer der amerikanischen Produktionsmethode in der deutschen Automobilindustrie waren und mit dem Volkswagenwerk viel weiter gingen als Wilhelm von Opel und seine Nachfolger von General Motors bei der Rationalisierungswelle 1934. Es paßt indes in ihre Ideologie, daß lebendige Arbeit verdrängt wird und der Produktionsprozeß im Ergebnis von Subjektivität gereinigt erscheint. Auszug aus: Geschichte der Automobilarbeiter. Kultursoziologische Notizen. In: „Wechselwirkung“, Februar 1986.

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