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Das Berliner Tacheles soll bis zum 15. November geräumt sein. Wegen angeblicher Baufälligkeit. Während sich Berlins Senat mit dem Prunkstück der alternativen Kulturszene schmückt, sind für den Grundstückseigner die Künstler nur "illegale Nu

Das Berliner Tacheles soll bis zum 15. November geräumt sein. Wegen angeblicher Baufälligkeit. Während sich Berlins Senat mit dem Prunkstück der alternativen Kulturszene schmückt, sind für den Grundstückseigner die Künstler nur „illegale Nutzer“

Provinzposse in der Hauptstadt Mitte

Berlin ist nicht nur die Stadt der drei Opern, 32 Theater, neun Symphonie-Orchester und 167 Museen. Berlin ist auch die Hauptstadt einer „einzigartigen alternativen“ Kulturszene. Mit diesem Attribut steigt die Marketing-Gesellschaft „Partner für Berlin“ regelmäßig bei potentiellen Investoren und Berlin-Interessenten in die Bütt. Eine Ausnahmestellung in der Off-Kultur nimmt in der drei Zentimeter starken Werbemappe „Investor's Guide“ der Image-Profis dabei das Kunsthaus Tacheles in Berlin Mitte ein. „In dem 1990 gegründeten Tacheles“, so lautet die freudige Botschaft an Berlin-Besucher, „treffen sich die Künstler in Ost und West.“

Ihre Hochglanzbroschüre können die Marketing-Verantwortlichen der Hauptstadt womöglich bald einstampfen. Geht es nach dem Willen des Bundes, soll das Tacheles in der Oranienburger Straße bis zum 15. November geräumt sein. Die Künstler aus Ost und West sind für die Oberfinanzdirektion, seit November 1996 rechtmäßiger Eigentümer der unter Denkmalschutz stehenden Ruine, schlicht „kriminelle Besetzer“ und „illegale Nutzer“.

In Berlin kennt die Peinlichkeit keine Grenzen. Ausgerechnet zum „Hongkong-Festival“ am kommenden Freitag, bei dem der Hongkonger Art Development Council ebenso anwesend sein wird wie die Berliner Kulturverantwortlichen, soll Schluß sein mit Tacheles. Doch die mit dem schlechten Bauzustand des Gebäudes begründete Räumung durch den Bund hat mit der harten Linie des Berliner Innensenators Jörg Schönbohm (CDU) nur wenig zu tun, sondern gleicht eher einer kulturpolitischen Provinzposse, die so natürlich niemand gewollt haben will.

Eigentlicher Auslöser des Räumungsszenarios ist dabei ausgerechnet Kultursenator Peter Radunski (CDU), dessen Verwaltung paradoxerweise schon kurz nach der Besetzung des Tacheles dafür gesorgt hatte, daß das Kunsthaus nicht nur mit ausreichend Fördergeldern und ABM-Stellen versorgt, sondern sogar in die Schutzpflicht des Senats genommen wurde. Im Oktober freilich hat Radunski einen Einspruch seines Vorgängers gegen eine eigentumsrechtliche Übertragung des Grundstücks an das Bundesfinanzministerium zurückgenommen und damit eine Ereigniskette ausgelöst, die nun alle Beteiligten ins Schwitzen bringt: die Oberfinanzdirektion, die das Grundstück nun möglichst schnell und teuer verkaufen muß, den Kultursenator, dem eine Räumung einen Kübel voller Häme einbringen würde, und die Künstler sowie den potentiellen Investor, die Kölner Fundus-Gruppe, deren Verhandlungen um eine dauerhafte Sicherung des Grundstücks nun unter erheblichem Zeitdruck stehen.

Noch in der letzten Woche hatte es den Anschein, als wären die Verhandlungen zwischen Fundus und Tacheles geplatzt, die Räumung somit unausweichlich. Während die im Tacheles-Verein organisierten Künstler auf uneingeschränkte Autonomie und eine dauerhafte Subventionierung des Kunsthauses pochten, nutzte Fundus-Boß Anno-August-Jagfeld, in Berlin bekannt durch den Adlon- Bau am Pariser Platz und die Friedrichstadt-Passagen, die Gunst der Stunde. Er bot den Künstlern zwar die Sanierung des Gebäudes und eine symbolische Miete für eine Mark pro Quadratmeter an, allerdings nur für die Dauer von zehn Jahren. Außerdem, so stand es im Vertragsentwurf, den das Tacheles erstmals am 31. Oktober zu sehen bekam, sollte eine Weitervermietung an andere Künstler nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Investors möglich sein. „Unverhandelbar“ lautete die Antwort der Tacheles- Künstler, die angesichts des Vertragswerks „ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende“ vorzogen.

Mittlerweile haben sich die Wogen etwas geglättet. Der Kultursenator, dem der Schreck in den Gliedern sitzt, hat der Oberfinanzdirektion einen Brief mit der Bitte um einen Räumungsaufschub geschrieben. Ganz und gar nicht glauben will Kultursenatssprecher Axel Wallrabenstein, daß die Polizei und der Innensenator das Gebäude würden räumen lassen, wenn die Vertragsverhandlungen zwischen Tacheles und Investor kurz vor dem Abschluß stünden. Reagiert haben inzwischen auch die Künstler selbst. Eine Woche früher als geplant haben sie einen eigenen Vertragsentwurf vorgelegt, in dem sie nach den Worten ihres Vorstandssprechers Peter Langbauer den Vorstellungen des Investors in wesentlichen Punkten entgegengekommen seien. Am morgigen Dienstag soll nun erneut mit Fundus verhandelt werden.

Das Ultimatum der Oberfinanzdirektion freilich steht. Wie der zuständige Mitarbeiter der Behörde Jochen Kallabis versicherte, sei der Brief an die Polizei mit der Aufforderung, das Tacheles zu räumen, bereits geschrieben. Daß es tatsächlich zu einer Räumung und damit zur Einstampfung Dutzender Hochglanzbroschüren kommt, darf allerdings bezweifelt werden. Gemeinsam mit der Bauaufsicht will die Oberfinanzdirektion an dem Tag, an dem das Ultimatum abläuft, noch einmal den baulichen Zustand des Gebäudes in Augenschein nehmen. Und der bündnisgrüne Abgeordnete Uwe Dähn hat bereits angeboten, für die Zeit zwischen dem 15. November und dem tatsächlichen Vertragsabschluß zwischen Fundus und Tacheles das Kulturhausgelände von der Oberfinanzdirektion zu mieten. Dem Kultursenator dürfte es recht sein. Er wird seinen Kollegen aus Hongkong am kommenden Freitag dann keine peinlichen Fragen beantworten müssen. Uwe Rada, Berlin

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