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Das Außen als Ort

■ Zur Veröffentlichung des „Blumfeld“-Albums „Testa-ment der Angst“: Ein Gespräch mit Jochen Distelmeyer

taz hamburg:Seit zehn Jahren gibt es nun die Band Blumfeld. Ein Thema, das die Bandgeschichte durchzog, war der Zusammenhang zwischen Privatem und Politischem. Der vorigen Platte, Old Nobody, wurde von manchem vorgeworfen, sie sei zu privatistisch...

Jochen Distelmeyer: Das sehe ich ganz anders! In Old Nobody war die Frage angelegt, „Wie kann man zu der radikalen Kraft der Negation gelangen, auch wenn man sich selbst als Teil des Problems ansieht?“ Dieses Nein wird immer auch mit der Geste der Versöhnung gesagt.

Auf dem neuen Album Testament der Angst gibt es aber Songs, die sich viel eindeutiger auf gesellschaftliche Verhältnisse beziehen.

Die Platte spitzt den oppositionellen, widerständigen Charakter zu. Sie sagt: Ich habe nicht mehr genügend Kraft, um beim Benennen dessen, was mir alles gegen den Strich geht, auch noch Verständnis zu entwickeln. Ich habe etwas gegen den freien Markt, der die Individuen unfrei macht. Hoffentlich bin ich da kein Einzelfall. Ihr seid verantwortlich für Sachen, die ich scheiße finde, ich nicht! Diese Grenze will ich ziehen. Am Anfang der Platte sage ich nochmal, was ja eigentlich alle unsere Platten durchzogen hat: „Ich will sie hassen / und kann's nicht lassen / in allem was sie ausmacht / auch ein Stück von mir zu sehen“. Dieser Einstellung sind wir immer treu geblieben. Aber damit hat sich nichts bewegt. Jetzt müssen wir mal das Kind beim Namen nennen.

Damit sich die Hörer nicht mehr auf die Selbstkritik des Sängers herausreden können?

Um es ein bisschen schwieriger zu machen. Um es nicht ganz so widerspruchslos passieren zu lassen, dass die Leute, die sich eigentlich angesprochen fühlen müssten, die verantwortlich für bestimmte Sachen sind, sagen „Ey, ich bin aber Blumfeld-Fan“. Diese Platte insistiert auf bestimmten Fragestellungen, Positionen, Essentials, wie die vorigen auch. Nur lebten die von einem geistigen Milieu von ähnlich Denkenden. Wenn vor einem Jahr eine Goldene-Zitronen-Platte erschienen wäre, dann wäre unsere Platte vielleicht anders ausgefallen. Aber so schien es, als hätten sich alle zurückgezogen. Ich glaube aber, dass die Leute noch da sind, insofern ist die Platte auch ein Signal: Hier, es gibt uns noch!

Wenn ich aber das Stück „Diktatur der Angepassten“ höre, in dem sehr global angeprangert wird, dann kann ich mir schwer einen noch so Angepassten vorstellen, der da nicht auch zustimmen würde.

Ja, aber alle machen ja mit! Ich habe der Kunst und der Musik immer eine Macht über mich eingeräumt, sie immer als Aufforderung zum genauer Hingucken, zum sich selber Überprüfen genommen. Mein politisches Engagement hat sich entwickelt vor dem Hintergrund einer Erfahrung von Musik, ob das jetzt Slime war, Ton Steine Scherben oder Fehlfarben. So habe ich auch das, was wir machen, immer verstanden: Nicht nur als einen Aufruf zum Engagement, sondern auch als eine Geste des Engagements selbst.

In manchen Songs auf Testament der Angst herrscht eine negative, deprimierte Grundstimmung. Der Vorwurf des Kulturpessimismus könnte drohen.

Ich halte für sehr realistisch, was da verhandelt wird. Das ist sehr nah an den Verhältnissen und Zuständen dran. Kulturpessimismus wird nur noch gebraucht als ein Totschlagargument: Sei mal schön still, verbreite hier mal nicht so schlechte Laune. Genau um das Verbreiten von schlechter Laune geht es aber. Wie stellt man sich den normalen, resignativen Momenten des Alltags, ohne am Ende ein Opfer von Verbitterung zu werden.

Testament der Angst ist die erste Blumfeld-Platte bei einem Major Label. Wie hat sich das bisher ausgewirkt?

Sehr gut, würde ich sagen. Das, was uns am wichtigsten ist, nämlich das Musikmachen und die Vorstellung der Songs, unterliegt genauso unserer Kontrolle wie vorher. Gleichzeitig gehen wir gerade mit dieser Platte dahin, wo der Schmerz sitzt. Und gucken, wie gehen die Leute in der Firma damit um, dass sie für eine Band arbeiten sollen, die solche Sachen erzählt.

Also habt ihr, zugespitzt gesagt, die Hoffnung, das System von innen zu verändern?

Nö. Wir gehen einfach nur mit den Sachen dahin, wo die Widersprüche offen zu Tage treten. Das wichtigste Kriterium ist: Wie kann man die Kunst selbstbewusst, autonom und beschützt durch die Gegend tragen? Zu „Top Of The Pops“, in irgendwelche Stadien oder in normale Konzerte. Das Sys-tem kann nicht durch eine Popband verändert werden. Und: von innen? Was ist innen, was ist außen, ist die alte Frage. Auf der Platte wird ja eine Position eingenommen , die von außen sagt: ihr! Diese Position, außerhalb der Verhältnisse zu stehen, und sie von da aus anzugreifen, ist vielleicht eine Illusion. Aber sie ist trotzdem notwendig, um etwas in Gang zu bringen.

Interview: Felix Bayer

Testament der Angst ist letzten Montag bei ZickZack/EastWest erschienen

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