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Das „Arirang“-Liedchen unter Tränen

Korea und Schweden stürzten das Tischtennisdenkmal China vom Sockel und besetzten den Thron Die DTTB-Auswahl spielte sich als Fünfter in die Weltspitze und die höchste Fördergruppe des DSB  ■ Aus Chiba Gerhard Claar

In der Makuhari Event Hall von Chiba City wurde Geschichte geschrieben — das dicke Buch der Tischtennislegenden Chinas wurde vorerst zugeklappt.

Beim Mannschaftsfinale der Damen standen sich der neunfache Titelträger China, zuletzt achtmal Weltmeister in Folge, und die erstmals seit 1945 wieder gemeinsam startende koreanische Auswahl gegenüber. Unüberbietbare Dramatik und Weltklasseleistungen begeisterten 6.000 Zuschauer, vor allem das Drittel der koreanische Fans. Sie waren wie ihr Team, das mit 3:2 den Nimbus der chinesischen Unbesiegbarkeit zerstörte, generalstabsmäßig vorbereitet, schwenkten riesige Fahnen, die auf weißem Hintergrund die vereinte Halbinsel im strahlenden Blau zeigten, oder wedelten Tausende kleine Fähnchen. Und immer wieder traten die professionellen Anfeuerer auf, die mit Sprachrohren entsprechende Sprüche vorgaben und von Block zu Block mit Funkgeräten verbunden waren.

Die Halle glich einem Tollhaus, die Siegerehrung verzögerte sich und immer wieder gab es Hochrufe für das koreanische Team mit den Weltklassespielerinnen Hyun Jung Hwa aus dem Süden sowie Yu Sun Bok und Li Bun Hui aus dem Norden des Landes. Und dann erklang das beliebte Volkslied Arirang, wurden die Goldmedaillen überreicht und nicht wenigen Koreanern standen in diesem historischen Moment die Tränen in den Augen.

Der Plan ging auf, erstmals wieder gemeinsam bei einem sportlichen Großereignis zu starten und damit den Weg der koreanischen Wiedervereinigung mitzuebnen. „Gemeinsam sind wir nicht nur stärker, gemeinsam sind wir unschlagbar“, tönte Teamkapitän Yoon Sang Moon aus dem Süden nach dem sensationellen Erfolg über Serienweltmeister China. „Wir haben die Erwartungen von 70 Millionen Menschen erfüllt. Von jetzt an wird es viele Weltmeisterschaften geben, bei denen koreanische Mannschaften ebenso gut abschneiden wollen.“

Die Damen selbst erklärten den gemeinsamen Moment des Triumphes allerdings aus unterschiedlicher Sicht. Während Hyun Jung Hwa (Süd) konstatierte: „Als wir 2:0 führten, bekam ich Angst, den nahen Sieg noch zu verlieren. Ich möchte an erster Stelle Jesus Christus danken“, meinte Nicht-Christin Yu Sun Bok (Nord): „Als Neuling bei einer Weltmeisterschaft gleich Meister zu werden, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Ich freue mich für mein Land.“ Die „Operation Gold“ war von Erfolg gekrönt. Die südkoreanische Regierung hatte fast 600.000 D- Mark zur Verfügung gestellt und in einem vierwöchigen gemeinsamen Trainingslager bekam die Mannschaft, in der sämtliche Ämter paritätisch besetzt sind, den letzten Schliff. Nun können weitere Medaillen im Einzel und im Doppel folgen.

Bei den Chinesen dagegen registrierte man nur versteinerte Blicke bei Teamchef Xi Enting, nichtssagende Erklärungen, höfliche Gratulationen — das war's. Noch während des Damenendspiels erreichten die Pekinger Fernsehanstalt zahlreiche Glückwunschtelegramme und -telefonate. Eine Niederlage hielt dort niemand für möglich. Doch zuvor verloren die Männer bereits im Viertelfinale gegen das CSFR-Team. Qian Qianli, Exilchinese beim Österreichischen Verband, meinte vielsagend: „Als die Männer vor zwei Jahren nur mit Silber, von den Schweden entthront nach Hause kamen, war in Peking der Teufel los. Unvorstellbar, was jetzt nach dem Debakel in Chiba City passiert.“

Das asiatische Tischtennis erlebte seine bitterste Schmach seit 1953. Bei den Männern spielten im Halbfinale ausschließlich europäische Teams. Die Schweden mit Weltmeister Jan Ove Waldner, Europameister Mikael Appelgren und Bundesligaspieler Jörgen Persson übernahmen ausgerechnet vor der chinesische Haustür den Thron und gewannen nach 1973 und 1989 den dritten Weltmeistertitel. Die deutschen Männer erreichten durch ein 3:0 über Mitfavorit Korea als Fünfter die beste Plazierung seit Birmingham 1977. „Damit werden wir in den A-Kader des Deutschen Sportbundes eingestuft und vom DSB offiziell zur Weltspitze gerechnet“, freute sich DTTB-Präsident Gäb.

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