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Das Arbeitsförderungsgesetz

■ Unterschiede im BRD- und DDR-Recht / Leistung nur nach Antragstellung

DER ROTE FADEN

Teil 15

Eine Arbeitslosenversicherung ist für die DDR ein Novum. Sie wird sich allerdings als höchst bedeutsam erweisen, wenn die Vorhersagen bezüglich der bevorstehenden Massenarbeitslosigkeit nicht trügen. Zum 1. 7. 1990 hat die DDR ein Arbeitsförderungsgesetz (AFG) eingeführt (GB1. I S. 403), das weitestgehend von der BRD übernommen ist.

Das AFG der Bundesrepublik stammt aus dem Jahre 1969. Es ist nicht als Gesetz konzipiert, das - durch Einführung einer Versicherung und einer Arbeitsvermittlung - nur auf arbeitsmarktpolitische Probleme reagiert. Es sollte vielmehr einer „aktiven Arbeitsmarktpolitik“ dienen, das heißt Entwicklungs- und Anpassungsprozesse auf dem Arbeitsmarkt mit vorantreiben, die im Sinne einer zukunftsgerichteten Beschäftigungspolitik standen. Diese Absicht hat sich vor allem in Qualifizierungsangeboten und in beschäftigungsfördernden Maßnahmen niedergeschlagen. Der Rote Faden konzentriert sich in diesem und den nächsten Teilen auf Leistungen, die für DDR-BürgerInnen heute besonders dringend sein dürften: Arbeitslosengeld und -hilfe, Kurzarbeitergeld und Konkursausfallgeld, Qualifizierung und Arbeitsbeschaffung. Die Autorin ist Rechtsassessorin und derzeit tätig als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen. Sie wird auch in das Sozialhilfegesetz einführen.

U.M.

Die Arbeitsverwaltung ist ausschließlich zuständig für die Arbeitsvermittlung (Vermittlungsmonopol) und hat auch andere arbeitsmarktpolitische Aufgaben. Im Zusammenhang mit der in der DDR zu erwartenden Entwicklung sind vor allem zwei Leistungsbereiche von Interesse:

-die Gewährung von sogenannten „Lohnersatzleistungen“ (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhife, Kurzarbeitergeld, Konkursausfallgeld)

-und die Förderung von Qualifikation und Beschäftigung.

1. Antragserfordernis, Rechtsweg. Alle Leistungen der Arbeitsverwaltung haben gemeinsam, daß sie nur auf Antrag gewährt werden. In den meisten Fällen ist der Antrag mehr als nur eine Formsache, da ein Anspruch auf die Leistung erst ab Zeitpunkt der Antragstellung besteht. Wenn zum Beispiel jemand einen Antrag auf Arbeitslosengeld verspätet stellt, erhält er es erst ab Zeitpunkt der Antragstellung, auch wenn alle übrigen Bedingungen schon vorher erfüllt waren.

Das in der DDR in Kraft gesetzte AFG (aus dem im folgenden allein zitiert wird, wenn nichts anderes vermerkt ist) weist einige Unterschiede zum Recht der BRD auf, von denen wenigstens zwei wesentlich sind:

1. Verfahrensvorschriften und Regelungen darüber, wie die Verwaltung sich gegenüber BürgerInnen zu verhalten hat, sind in der BRD nicht im AFG selbst, sondern in den Sozialgesetzbüchern (SGB) I und X und im Sozialgerichtsgesetz (SGG) verankert. Diese sind in der DDR

-noch - nicht eingeführt worden, entsprechende Regelungen finden sich an einigen Stellen direkt im AFG (§§ 142 ff.). Diese Vorschriften betreffen aber nur die Teile der Verfahrensordnung, die sich zum Beispiel auf die Mitwirkungspflichten der Betroffenen beziehen. Es fällt auf, daß diejenigen §§ des BRD-Rechts, die Rechte der BürgerInnen und Pflichten der Verwaltung normieren, fehlen.

Hintersinnige

Unterschiede

2. Umgekehrt zeichnet sich das AFG der DDR dadurch aus, daß zwar die Mitwirkungspflichten der Betroffenen aus dem BRD-Recht übernommen worden sind, die Pflichten der Verwaltung und die Rechte der Betroffenen bei deren Verletzung jedoch nicht. Besonders deutlich wird das an den Regelungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten: in § 151 Abs. 1 ist nur von Entscheidungen die Rede, durch die Leistungen bewilligt worden sind, für die die Voraussetzungen entweder gar nicht vorgelegen haben oder nachträglich weggefallen sind. Eine den §§ 152 AFG/BRD, 44 SGB X entsprechende Vorschrift fehlt. Auch ein Gesetz, in dem das Widerspruchsverfahren geregelt würde, ist noch nicht eingeführt worden.

Eine solche Handhabung des AFG würde der in Art. 4 und 6 des Staatsvertrages sowie Art. 5 der am 17. Juni 1990 in Kraft getretenen DDR-Verfassungsgrundsätze (GB1. I S. 299) widersprechen. Die Reaktion staatlicher Stellen bleibt im Hinblick darauf abzuwarten. Bis zur Klärung dieser Frage kann Antragstellern nur geraten werden, sich von den zuständigen SachbearbeiterInnen genauestens über Rechte beraten zu lassen, hartnäckig Fragen zu stellen und im Zweifel gegen ungünstige Bescheide sofort Widerspruch beim Arbeitsamt einzulegen.

2. Beitragspflicht. Die vorherige Ausübung einer beitragspflichtigen Beschäftigung ist in den meisten Fällen auf Seiten des/der Antragstellenden Voraussetzung für die Gewährung von individuellen Leistungen. Beitragspflichtig sind nach §§ 168 ff. alle abhängig Beschäftigten (nicht Schüler- und Student/innen), die wenigstens 18 Stunden in der Woche arbeiten. Im Gegensatz zum AFG der BRD sind auch Beamte, Richter und Berufssoldaten beitragspflichtig. Die Arbeitgeber müssen Beiträge in gleicher Höhe wie die Beschäftigten entrichten. Bei Beschäftigten, die weniger als 200,- DM monatlich verdienen, bezahlt der Arbeitgeber den gesamten Beitrag einschließlich des Arbeitnehmeranteils. Werden (gem. § 169c nicht beitragspflichtige) Rentner/innen beschäftigt, führt der Arbeitgeber dennoch gem. § 172 den Arbeitgeberanteil ab.

Arbeitslosengeld

nur auf Antrag

Voraussetzungen. Arbeitslosengeld erhält gem. §§ 100 ff. AFG, wer arbeitslos ist, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, innerhalb von drei Jahren mindestens ein Jahr beitragspflichtig beschäftigt gewesen ist, sich arbeitslos gemeldet und einen Antrag gestellt hat. Arbeitslos ist, wer entweder gar nicht oder weniger als 18 Stunden in der Woche arbeitet. Verfügbarkeit (§ 103) bedeutet, daß der/die Arbeitslose bereit sein muß, jede zumutbare Arbeit anzunehmen. Die Arbeitslosenmeldung muß gem. § 105 persönlich am ersten Tag der Arbeitslosigkeit beim Arbeitsamt des Wohnbezirks erfolgen.

Auf Sonderprobleme - wie Sperrzeiten - kann hier nicht eingegangen werden. Vermerkt sei aber, daß in der DDR eine AFG-Bestimmung nicht übernommen wurde, die in der BRD heiß umstritten war: § 116 Abs. 3 AFG/BRD. Diese Vorschrift besagt, daß im Falle eines Arbeitskampfes die mittelbar betroffenen Arbeitnehmer/innen derselben Branche, aber in einem anderen Tarifbezirk - jene, die nicht selbst am Arbeitskampf beteiligt sind und vom umkämpften Tarifvertrag nicht direkt profitieren - im allgemeinen keine Leistungen der Arbeitsverwaltung beanspruchen können. Diese finanzielle Bedrohung ist DDR-Arbeitnehmern erspart worden.

Höhe des Anspruchs. Das Arbeitslosengeld beträgt gem. §§ 111, 112 bei verheirateten Arbeitslosen und Arbeitslosen mit mindestens einem Kind 68 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes im letzten Abrechnungszeitraum vor der Arbeitslosigkeit. Die Dauer des Anspruchs gem. § 106 mindestens 156 Werktage (6 pro Woche, weil der Samstag mitgezählt wird). Sie verlängert sich auf bis zu 312 Werktage, wenn innerhalb einer Rahmenfrist von 7 Jahren 720 Kalendertage gearbeitet worden ist. Die Anspruchsdauer steigt dann weiter in Abhängigkeit von Alter und Beschäftigungsdauer: der höchstmögliche Anspruch beträgt 832 Tage Arbeitslosengeld für diejenigen, die 1920 Tage gearbeitet haben und das 54. Lebensjahr vollendet haben.

Sibylle Röseler

Die ersten fünfzehn Teile der Serie können gegen 6,- DM bestellt werden bei: taz Archiv, z. Hd. Randy Kaufmann, Kochstr. 18, 1 Berlin 62

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