: Darling Guitar
Da haben wir's nun: die definitive Hendrix-Biographie von Shapiro/Glebbeck: philologically correct, mit Diskographie und allem Drum und Dran, aber gerade deshalb auch tendenziös und allzu geradeaus gemauert ■ Von Anke Westphal
Seine Autogramme signierte er mit „Stay Free“. Grenzenlose Freiheit, Wahrhaftigkeit und Perfektion standen als Credo über den 27 Lebensjahren des Mannes, der 1942 als Johnny Allen Hendrix standesamtlich registriert wurde. Ende der sechziger Jahre gelangte er als weltbester Gitarrist und „Electric Gypsy“ zu flirrender Berühmtheit.
Die Rede ist natürlich von „Jimi“, der Legende. Sex, Drugs & Rock 'n' Roll. Unzählige Groupies, stimulierende Fan-Geschenke und – im Zenit des Erfolges – dreizehn gottähnlich gehaltene Gitarren. Also alles wie gehabt: Hendrix, der Rockstar, der unter der Devise „Schnell gelebt, früh gestorben“ ins Pantheon des Pop eingegangen ist?
Das war den Autoren eines neuen, zudem gleich kiloschweren Werkes über Hendrix denn doch und zu Recht zu wenig. „Dies ist eine Biographie und keine Heiligenlegende. Vielleicht ist es eine Illusion, daß die Kunst den Sieg über Sensationskitzel und Pop-Ikonographie davontragen kann“, steht als Fazit unter den 540 Seiten, die nur den ersten Teil des „Meilensteins“ unter den Hendrix-Biographien ausmachen. Probiert haben Harry Shapiro und Caesar Glebbeck es trotzdem.
Das Projekt als ambitioniert zu bezeichnen wäre noch untertrieben. Im editorischen Slang bezeichnet man derart voluminöse Werke als „Ziegelstein“: in diesem Falle zwei Drittel Text, ein Drittel penibel recherchierte Anmerkungen, insgesamt 777 Seiten, um Jimi Hendrix für die seriöser gestimmte Rezipientenwelt aus dem populären Sündenpfuhl zu retten. Eine Fan-Bibel zwischen Hommage und wissenschaftlicher Interpretation, die, indem sie über manchmal ermüdend epische, ausufernde Strecken bloß Ehrfürchtiges zum Gegenstand beiträgt, dann doch wieder am Star-Mythos kleben bleibt. Wo ist das Blut im Leben von „Darling Guitar“ nur versickert? Zwischen all den ohne Zweifel fleißig zusammengetragenen Fakten und klugen, aber zu vorsichtigen Bewertungen?
Dabei mangelt es dem Wälzer nicht an Anekdoten, auch solchen der tragikomischen Art. Hendrix, der Mann, der ewig den Tourbus verpaßte – und so um nicht wenige Jobs kam; der ebenso kurzsichtig wie brillenfeindlich war und deswegen sämtliche Autos zu Schrott fuhr; Hendrix, der Individualist zwischen Isolation und Außenseitertum, der schrille Klamotten über alles liebte und seine Haare mit rosa und gelben Lockenwicklern in Form brachte.
Außerdem ein Freak und Verweigerer von Rollen: ein Schwarzer, der es nicht zum Beruf machen wollte, Schwarzer zu sein, und ein Star, den tatsächlich noch jeder x- Beliebige in irgendeinem Hotelzimmer treffen konnte. Die Gitarre hing ihm schon beim Frühstück um den Hals, er nahm sie mit ins Bett, schlief nachts mit ihr, „bumste sie auf der Bühne“, wie es Kritiker beschreiben zu müssen glaubten, und spielte sie mit den Zähnen. Darling Guitar war die ideale Geliebte zwischen all den starsüchtigen Frauen, die dem schüchternen und bindungsscheuen Jimi unbedingt Hafen sein wollten. Lange vor Ziggi Stardust hatte Hendrix verkündet, daß er von einem anderen Planeten käme; sein neues Zeitalter nach dem Armageddon sollte auf Musik gegründet sein.
Den „Durchbruch“ schaffte Hendrix, der 1961 wegen chronischen Geldmangels als Freiwilliger in die Armee eintrat (und dort Luftsymphonien über das Fallschirmspringen entwarf), erst 1966: in der englischen Clubszene. Bei seiner Ankunft in London befand sich sein ganzer Besitz – die Fender, Stratocaster, Kleider zum Wechseln und eine Dose Valderma-Gesichtscreme – in einem Gitarrenkoffer. 1967 in den Staaten ging dann alles ganz schnell: Während er das Festival von Monterey in seiner ganzen Psychedelic-Pracht beehrte, um seine Band Experience vorzustellen, war er, „als er die Bühne verließ, vom Gerücht zur Legende geworden“. Hendrix, das war für die Autoren „Musik in 3D“, gespielt von einem im privaten Raum höflichen, rücksichtsvollen und gar altmodisch schüchternen Menschen. Der boy next door als Genie.
„Pop ist schon eine komische Sache, nicht?“ heißt es an einer Stelle – ein Zitat von Brian Eno, der damit die Frage stellt, warum über Jimi Hendrix nicht wie über John Cage gesprochen wird. Doch gerade das bezeichnet ja das Dilemma einer Pop-Geschichtsschreibung, die den Versuch unternimmt, ihren Gegenstand auf einer seriöseren Ebene zu verhandeln, als der dem Pop geheinhin zugeschrieben wird – und dabei aufs Analste in ihrer eigenen Materialhörigkeit ersäuft.
Am Ende bleibt ein in seinen Bausteinen penibel, aber tendenziös geradeaus gemauertes Denkmal, das sogar einen exzessiven Drogenkonsum und gelegentliche Zerstörungsorgien ins Bild des guten, aufrechten Schöpfermusikers integriert.
Fast schon unfreiwillig komisch gerät dabei die hochpräzise Diskographie, die noch „Hustenreiz“, „leichtes Räuspern“ und „Zungenschnalzen“ in den Songs sowie die Besitzverhältnisse bei den eingesetzten Gitarren vermerkt. Ein ohne Zweifel verdienstvolles Kapitel über die verwendete Technik bietet eine Aufstellung aller Verstärker und Gitarren, eine Beschreibung des Equipments sowie ein Glossar von Jimis Spieltechnik. Auch die mittlerweile in Rock-Biographien unvermeidliche familiäre Ahnentafel fehlt nicht. Unzählige, zum Teil bestechend schöne Fotos von Hendrix und ein Anhang der Bücher und Filme über ihn dürften immerhin den Ruf als Standardwerk zementieren.
Fast erstaunlich ist es da, daß – will man einer populären Musikzeitschrift glauben – 60 Prozent aller Hendrix-Platten von Kids im Alter zwischen 13 und 21 Jahren gekauft werden. Pop-Ikone oder Schöpferheroe scheint hier nicht mehr so sehr die Frage zu sein. Und das ist doch das Schöne am primären Leben, oder?
Harry Shapiro/Caesar Glebbeck: „Electric Gypsy. Jimi Hendrix – Die Biographie“. Aus dem Englischen von Ingeborg Schober, Verlag vgs, 777 Seiten mit unzähligen Fotos, vielen Briefen und Postkarten, 78 DM.
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