■ BVG-Streik: Danke, Schaffner!
Wenn ein Bus zu spät kommt, dann ist die Verzögerung je nach Ursache lediglich bedauernswert oder ganz besonders dramatisch. So ist das Zuspätkommen eines Doppeldeckers, dem etwa eine Landesregierung die Busspur unter den Rädern weggezogen hat, kaum eine Schlagzeile wert. Wenn sich aber die Ankunft eines „großen Gelben“ verzögert, weil der Schaffner um seinen Arbeitsplatz kämpft, dann ist die Unpünktlichkeit im Öffentlichen Nahverkehr sogar für Morgenpost und Berliner Zeitung Grund, Schuldige zu suchen. Die falschen allerdings. Beide Gazetten wetterten am Wochenende gegen den Streik im Öffentlichen Nahverkehr vom vergangenen Freitag unter Titeln wie „BVG-Schmutz“: „Profilierungssüchtige ÖTV-Funktionäre“ würden Fahrgäste nur „als operative Verfügungsmasse“ betrachten, der Gewerkschaft sei egal, „was in Berlin kaputtgeht“, wenn sie „mal eben fünf Stunden lang die Millionen-Stadt“ lahmlege.
Und dann warfen die Blätter den Streikenden auch noch deren Erfolg vor: Vor der Wahl am 22. Oktober könnten sie soviel herausholen „wie sonst nie“. Sauerei! CDU und SPD seien schon auf die Knie gefallen oder seien dabei – weil sie Bus- und Bahnfahrer nicht gegen deren Willen auf die Straße setzen wollten. Erpressung! Da könnte doch ein einfacher BVG-Mitarbeiter glatt Gefallen daran finden, bis zum Wahltag dauerzurevoltieren. Mit zusätzlichen Parolen. Ein-Minuten-Takt rund um die Uhr! Autobahnen zu Busspuren! Maueröffnung für alle Trams! Schon allein dafür, daß 6.000 BVG-Bedienstete am Freitag zeigten, wie man Zeitungsmacher zum Zittern bringt und Politikerknie zu Pudding macht, müßte man ihnen ganze U-Bahn-Tunnel voller Lob stopfen. Danke, Schaffner! Dirk Wildt
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