Dangaster wehren sich gegen Modernisierung des Kurbades: Kopfloser Massentourismus

Das Nordseebad Dangast fährt Verluste ein. Kurdirektor Johann Taddigs soll den Kurbetrieb umkrempeln und das Dorf gleich mit. Einige Einwohner wollen klagen.

Große Ruhe oder große Öde? Geht es nach dem Kurdirektor, hat es sich in Dangast bald ausgedöst. Foto: Manuela Sies

DANGAST taz | Dangast döst. Die Campingplätze und Strände sind verwaist, viele Ferienwohnungen leer und die Jalousien heruntergelassen. Nur eine Handvoll Menschen schlendert durch den Ort. Vielleicht noch ein Halt am Kurhaus, um den berühmten Rhabarberkuchen mit Blick auf den Jadebusen zu essen. Es ist Winterruhe im ältesten Nordseebad an der deutschen Festlandküste. Außer auf einer Baustelle etwas östlich des Zentrums.

Eine Grube klafft im Boden, Fundamentplatten werden gegossen. Hier entsteht der erste von drei Bauabschnitten des Nordseeparks mit Ferienapartments. „Für 40 Millionen Euro entstehen 700 zusätzliche Betten“, sagt Kurdirektor Johann Taddigs. Ein Großprojekt für ein kleines Dorf mit nicht mal 600 Einwohnern. Das Projekt Nordseepark ist aus TaddigsSanierungskonzept hervorgegangen, dem Grund für den Streit über die Zukunft Dangasts.

Taddigs sitzt in seinem Büro mit Panoramafenster, spricht davon, „wettbewerbsfähig“ zu werden und hat die Stadt Varel, zu der Dangast gehört, und die Mehrheitsfraktion des Rates im Rücken. Gegen sich hat er Politiker der Ratsminderheit, Künstler und die Bürgerinitiative Dangast. Sie sind gegen TaddigsPlan, mit dem er 2011 als Kurdirektor angetreten ist, um den defizitären Kurbetrieb umzubauen und die Stadt zu entschulden.

„Ich fand Investitionsstaus vor und einen Betrieb, der sich in 20 Jahren kaum weiterentwickelt hatte“, sagt er. Das jährliche Minus habe bei 1,5 Millionen Euro gelegen, die Gebäude des Kurzentrums seien veraltet gewesen. Jahrelang hatte die Stadt erfolglos nach Auswegen gesucht. „Die wollten einen externen Profi, der sich auskennt und das war ich“, sagt Taddigs. Er ist einer von der ehrgeizigen Sorte, das zeigt auch sein Konzept.

„Protzige Strandsparkasse“, sagen die Leute von der Bürgerinitiative, Symbol für Dangasts neue Wettbewerbsfähigkeit, sagt der Kurdirektor

Im Kern sieht es vor, die Fläche des städtischen Kurbetriebs zu reduzieren und das Angebot für Urlauber zu modernisieren. Taddigs schlug der Stadt vor, die Kuranlage zu verkaufen. Mitsamt des früheren Gesundheitszentrums, des Solebads, der Kursäle und der Büros der Kurverwaltung. Auch der Kurpark, der bis an den Deich des Badestrandes heranreicht, sollte zu Geld gemacht werden. Insgesamt 6,5 Hektar. Von dem Erlös sollte auf dem Deich ein moderner Bau mit neuen Räumen für eine Touristeninformation und für die Verwaltung entstehen – Weltnaturerbeportal nannte Taddigs das in seinem Plan. Schließlich liegt Dangast am Wattenmeer und das ist ein Weltnaturerbe.

Gegen den Sanierungsplan regte sich sofort Protest. In Ratssitzungen wurde Dangast schon mal im Sarg symbolisch zu Grabe getragen. Bis heute befürchten die Kritiker kopflosen Massentourismus ohne touristisches Leitbild. Der Kritik zum Trotz verkaufte Dangast bereits im Frühjahr 2013 einen Teil des von Taddigs vorgeschlagenen Areals an Küstenimmobilien Peters aus Dangast und an den Oldenburger Immobilienunternehmer Dirk Onnen – und die bauen nun den Nordseepark. Das Gesundheitszentrum wird abgerissen und der Platz neu bebaut. Außerdem sicherte sich die angrenzende Mutter-Kind-Klinik Friesenhörn 7.000 Quadratmeter. Der Gesamterlös liegt bisher bei 5,37 Millionen Euro.

Mit diesem Geld konnte jenes prominent gelegene Weltnaturerbeportal gebaut werden. Ende Februar war nach nur neun Monaten Bauzeit Eröffnung. Modern ist es geraten. Mit Promenade für die Touristen, Sauna- und Wellnessbereich, Verbindung an das schon bestehende Quellbad, Restaurant und Touristeninformation samt Souvenirshop. Dagegen wirkt der Rest des Ortes mit seinem schrammelig-romantischen Charakter wie aus der Zeit gefallen.

„Katastrophe für den Ort“

„Protzige Strandsparkasse“ nennen die Leute von der Bürgerinitiative das neue Gebäude. Das Symbol für Dangasts neue Wettbewerbsfähigkeit, sagt Taddigs dazu. „Wir schaffen Produkte, die einfach buchbar sind und die Saison verlängern.“ Für modernes Tourismusmarketing, das mit Pauschalangeboten und Wellness zusätzliche Dauergäste locke. Wenn Konstanze Radziwill Taddigs so reden hört, wird sie wütend. „Das ist eine Katastrophe für den Künstlerort.“ Denn auch das sei Dangast: ein Künstlerort.

Die Filmemacherin und Autorin ist Mitbegründerin der Bürgerinitiative. Und die Tochter von Franz Radziwill, dem Maler des magischen Realismus. Franz Radziwill verbrachte den Großteil seines Lebens hier, ähnlich wie der Maler und Fotograf Willy Hinck. Auch Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein von der 1905 in Dresden gegründeten expressionistischen Künstlergruppe „Die Brücke“ malten in Dangast. Darin sieht Konstanze Radziwill das wahre Potenzial des Ortes. „Die Menschen möchten sehen, wo diese Weltkunst in der Natur entstanden ist.“

Die Bürgerinitiative will darum einen eher sanften Kulturtourismus, der die Historie aufgreift und die heutigen Künstler vor Ort einbezieht. „Aber dafür hat Herr Taddigs kein Ohr“, sagt Künstler Gunnar S. Voigt bei einem Spaziergang durch den Kurpark. Er ist Teil der Ateliergemeinschaft Kunstraum, die Dangast künstlerisch neu beleben wollte. Zuletzt hatten sie Räume der Kuranlage zu Ateliers mit Ausstellungen umfunktioniert. „Wir hätten auch den ganzen Park bespielen können“, sagt Voigt und redet von Skulpturenparks und Mittelaltermärkten. „Aber jetzt wird hier die letzte grüne Freifläche mit diesem Nordseepark zugeknallt.“ Weil die Künstler diese Entwicklung nicht mittragen wollen, ist Kunstraum ins selbst gewählte Exil in den benachbarten Vareler Hafen gezogen.

Verschärft wird der Konflikt dadurch, dass der erste Bauabschnitt des Ferienhaus-Komplexes in der landseitigen Deichschutzzone gebaut wird. Dafür wurde eine Ausnahmegenehmigung erteilt und extra der Bebauungsplan geändert. Nun beträgt die Schutzzone nicht mehr 50 Meter, sondern nur noch 20 Meter. Es wird eng am Deich.

Die Bürgerinitiative sieht Dangast wegen der neuen Betten im Sommer künftig aus allen Nähten platzen. „Für ein Dorf auf einer Halbinsel ist das nicht zu leisten“, sagt Radziwill. Taddigs hält dagegen, dass Dangast mit der Überfüllung schon jetzt zu kämpfen hat. „Uns bereiten aber nur die Tagestouristen Probleme, die bei schönem Wetter in den Ort fahren und Staus verursachen“, sagt er. Die Dauergäste, auch die des späteren Nordseeparks, ließen ihr Auto stehen. Einen Teil der Belastung habe man schon abgefangen, indem der Verkehr auf einen kostenlosen Strandparkplatz am Ortsrand umgeleitet wurde.

Insgesamt sieht Taddigs sich und den Ort auf dem richtigen Weg. Dangast bewegt sich auf 600.000 Übernachtungen im Jahr zu. Das Defizit des Kurbetriebs liegt konstant unter 900.000 Euro. Für 2016 rechnet er laut Wirtschaftsplan mit rund 826.000 Euro. Rückendeckung kam in der letzten Ratssitzung 2015 auch von Bürgermeister Gerd-Christian Wagner (SPD). Seit 2011 habe die Stadt durch die Sanierung 1,5 Millionen Euro gespart, sagt Wagner.

An der Wirklichkeit vorbei

Leo Klubescheidt gehört zu den Gegnern der neuen Wettbewerbsfähigkeit, engagiert sich in der Bürgerinitiative. Die geschätzten Erlöse gingen an der Wirklichkeit vorbei, sagt er. Und nennt die neue Sauna im Weltnaturerbeportal als Beispiel. „2015 erreichte sie nur ein Drittel der angepeilten Umsätze“, sagt Klubescheidt. Taddigs bleibe aber bei seinem geplanten Umsatz von 125.000 Euro jährlich. Dafür müssten 15.700 Saunagänger her. Nicht zu machen, so Klubescheidt. Selbst die größere Saunalandschaft im benachbarten Ferienort Neuharlingersiel komme in Spitzenzeiten nur auf 9.000 Besucher.

Die Bürgerinitiative will im Januar vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg und dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage einreichen. Auf diese Weise wollen sie kurzfristig per einstweiliger Anordnung einen Baustopp erreichen. Langfristig wollen sie beweisen, dass das öffentliche Planungsverfahren fehlerhaft war. Haben sie damit Erfolg, wäre der Bebauungsplan ungültig und ein Rückbau müsste erfolgen. Nur kann sich das Verfahren bis zu fünf Jahre hinziehen. Taddigs hat derweil weiter die Entschuldung vor Augen. „Jetzt will ich das Defizit auf null fahren“, sagt er. „Bis 2025, das ist realistisch.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.