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Dancin' dock

■ Neue Tanznacht im Pier 2 : Abfeiern zwischen Mainstream-Mucke und „Curry von der Brat“

Seit Samstag ist auf dem AGWeser-Gelände wieder die Stechuhr in Betrieb. Noch einmal wird hier harter Körpereinsatz gefordet. Unter Schweiß, mit gestählten Muskeln und ohne Spätzulage. Denn wenn pünktlich um 22 Uhr die Werkssirene dröhnt, dann ist „Nachtschicht“ im Pier 2.

Empfangen wird man zu dieser monatlichen Tanznacht vom ganz stilecht in orange Schutzkleidung gehüllten „Werkschutz“, bevor man die – diesmal für fünf, demnächst für acht Mark (incl. Getränkebon) – erstandene Stechkarte eigenhändig an der wunderbar antiquierten mechanischen Zeituhr selbst zu entwerten hat.

Und los geht die Maloche unter dem Mainstream-Sound von DJ Jimmy Schirmer. Wobei die Unterteilung zwischen der arbeitenden Bevölkerung (TänzerInnen) und den Arbeitsscheuen soundmäßig gut gelöst ist. Denn die mitten in der Werkshalle installierte Tanzfläche wird von vier nach innen gerichteten Lautsprechertürmen wie ein Boxring begrenzt, so daß die Tänzer volle Power genießen und die Rumhänger sich tatsächlich ohne allzu grausame Stimmbänderzerrung unterhalten können.

Doch der Vorteile sind noch mehr. So hat man nicht nur von der mit Tischen, Stühlen und Theke ausgestatteten Empore einen guten Überblick über's „Fußvolk“, sondern auch von der nach draußen ins Freie verlängerten Terrasse eine phantastische Aussicht über den nächtlich beleuchteten Hafen (ein idealer Platz für heiße Sommernächte!). Hier fühlt man sich mehr wie bei einem live-open-air-act als in einer Disco.

Was das Publikum angeht: Bei der ersten „Nachtschicht“ war es gemixt aus 16 bis 40Jährigen, vergleichbar etwa mit der Klientel des „Moments“ - nur mit höherem Landbevölkerungs-, Bremen-Nord- und Gröpelingen-Anteil und dadurch deutlich unaffiger. Ein Querbeet durch alle Schichten, vom Jeansfreak über die Motorradgang bis zum hipen Girlie, ganz wie die Musik, die eher auf „Fools Garden“ als auf Techno ausgerichtet war. Dazu Veranstalter Heiner Hellmann: „Wir setzen bewußt auf mainstream a la Bremen 4 und MTV, um allen was zu bieten. Welcher Stil sich dann letztendlich durchsetzen wird, hängt davon ab, was das Publikum fordert.“ Betriebliche Mitbestimmung auf der Tanzfläche also.

Der Mischung aus Großdisco und Hafenatmosphäre verdankt die „Nachtschicht“ ein Flair, das in Bremen seinesgleichen sucht. Ganz abgesehen davon, daß Discos selten über so viel Bewegungsfreiheit und gute Luft verfügen. Außerdem macht es natürlich Spaß, neben schönen und schön normalen Menschen auch ein stimmiges Konzept zu sehen, von den Getränkeständen in umgebauten Containern über das Servicepersonal im Blaumann bis zum „Lohnbüro“, von dem man sich beim Verlassen der Nachtschicht eine „Lohntüte“ aushändigen läßt, die für's nächste Mal einen Getränke-Chip enthält.

Einer derartigen Aufforderung zum Wiederkommen freilich bedarf es gar nicht – fühlt man sich hier doch endlich einmal beinahe wie in einer echten Großstadt mit Hafen, in der es – wie in London – egal ist, welches outfit man gerade zur Schau trägt.

Und wie sich's für einen anständigen Betrieb mit übertariflichen Leistungen gehört, wird man nach getaner Arbeit ab 1.10 Uhr im Stundenrhythmus vom „Werksbus“ kostenlos bis zum ZOB transportiert. Dort warten dann die Nachtlinien der BSAG auf all jene, die nicht das Glück haben, in Gröpelingen zu wohnen, sondern ihre Lohntüten, Träume oder neuen Bekanntschaften nach Huchting, Hemelingen oder in sonstige Vororte mitschleppen müssen.

Moritz Wecker

Die nächsten „Nachtschicht“-Termine: 4.5., 1.6. u. 6.7.22.00 Uhr mit open end. Danach: Jeden 1. Samstag im Monat.

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