: „Damit werden die Drogen doch toleriert“
■ Spritzen austeilen, aber Drogen konfiszieren – für Vollzugsbeamte unvorstellbar
Franz Hellstern ist Vorsitzender des „Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands“
taz: Die Strafvollzugsbediensteten lehnen den Spritzentausch für Gefangene kategorisch ab. Diese rigide Abwehr hat mehr den Anschein eines Machtkampfes als den einer inhaltlichen Auseinandersetzung.
Franz Hellstern: Wer die Subkultur und die Drogenmafia in einer Anstalt kennt, der kann nur so entscheiden. Bei allen anderen sage ich, die haben keine Ahnung, wie es im Vollzug abläuft; denen spreche ich auch das Recht ab, sich dazu zu äußern.
In einigen Bundesländern geht es nun trotzdem bald mit dem Spritzentausch los ...
Sie müssen sich einfach mal vorstellen, was das für die Beamten bedeutet. Drogenhandel und -konsum sind strafbar, die Bediensteten werden im Aufspüren von Drogen geschult – und dann geben wir sie hier frei. Ich habe gerade heute wieder erlebt, was im Vollzug an Drogenhandel abgeht. Da ist es für uns einfach unvorstellbar, daß wir das Handwerkszeug verteilen. Und auf der anderen Seite laufen wir mit Rauschgiftspürhunden hier drinnen herum. Das paßt doch nicht zusammen.
Aber man gibt durch Spritzentausch den Handel nicht frei.
Aber man toleriert, daß die Drogen da sind.
Liegt es nicht auch in Ihrem Interesse, das HIV-Infektionsrisiko zu verringern?
Im Vollzug haben wir ein verschwindend geringes Infektionsrisiko; die Quote liegt unter 1,5 Prozent, das ist weit niedriger als draußen. Nach unseren Beobachtungen nimmt sie nicht zu, wir sehen keinen Handlungsbedarf.
In den letzten Jahren hat sich in der Drogenpolitik ein Wandel vollzogen: Es heißt nicht mehr „clean werden um jeden Preis“, sondern Überlebenshilfen bereitstellen, damit die Junkies einen Weg aus der Sucht finden können. Warum ist das im Strafvollzug nicht möglich?
Wir bieten doch im Vollzug jede Art von ärztlicher Hilfe an. Wir betonen auch ausdrücklich, daß wir Substitutionsprogramme im Vollzug sehr sinnvoll finden.
Die erste Bilanz der Schweizer Haftanstalt Hindelbank widerlegt nach einem Jahr Spritzentausch all ihre Befürchtungen: kein vermehrter Drogenhandel, keine neuen Süchtigen, keine Spritze wurde gegen einen Beamten gerichtet. Motiviert Sie das zum Überdenken Ihrer Position?
Überhaupt nicht. So ein Versuch in einer sehr kleinen Frauenhaftanstalt ist doch überhaupt nicht repräsentativ.
Gefängnis hat mit Strafe zu tun, da sollen es die Insassen nicht leichter als nötig haben – können Sie ausschließen, daß dieser Sühnegedanke die Ablehnung der Vollzugsbeamten bestimmt?
So eine Unterstellung würde ich weit von mir weisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen