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Da war er wieder, der Ellenbogen in den Rippen

■ Verwirrte Eindrücke einer britischen Besucherin über die Deutschen

Ich landete in Hamburg nicht nur mit meinem Handgepäck und meinem EG-Paß, sondern mit meinem eingefleischten und polierten Set Manieren. Ich steuerte die Paßkontrolle an und reihte mich in die Schlange ein. Die Schlange machte Fortschritte – ich nicht. Während ich geduldig wartete, bis ich drankam, überholte mich ein Strom hektischer, grimmiger Touristen. Eine nicht gerade zierliche Frau stieß mich mit ihrem gut plazierten Ellbogen weg – ich war ihr offenbar im Weg. Mir wurde jetzt klar, daß es nur einen Weg gab: mich über Jahre des indoktrinierten queueings hinwegzusetzen und meine Ellbogen ebenfalls einzusetzen.

Meine erste Woche in Hamburg begann mit einem weiteren Aha- Erlebnis – diesmal in einem Supermarkt. Gerade als ich mich fragte, wer wohl die Konsequenzen für derart niedrige Schokoladenpreise zahlen würde, fühlte ich ihn wieder, den harten Ellbogen in meinen Rippen. Wieder einmal stand ich jemandem im Weg. Die mir so vertrauten Entschuldigungen, die jetzt in London auf mich eingeprasselt wären („Entschuldigen Sie, meine Liebe – bitte nach Ihnen ...“), sie wurden ersetzt durch einen zweiten Stoß. Er kam von der kleinen grauhaarigen Frau neben mir, die sich unversehens in den Ausbund von Kraft und Entschlossenheit verwandelt hatte.

Eine deutsche Freundin sagt mir dauernd, wie freundlich sie die Menschen in London findet. Ich hatte bis dahin nie verstanden, was sie damit meint. Diese anonyme Metropolis mit ihren mobilen Telefonen und verschlossenen Gesichtern? Freundlich? Ich begann allmählich zu verstehen, was hinter dieser Bemerkung steckte. Extrem freundlich, die Londoner, dachte ich.

Ich habe mich oft dagegen gewehrt, Manieren in eine nationale Beziehung zu setzen. Doch mir wird klar, daß es sie gibt. Sie entspricht nicht etwa Rassenunterschieden (wie viele es gern sehen), sondern einer Akzeptanz, einer Philosophie des So-haben-wir-es- hier-immer-gemacht.

In meiner Verwunderung über das, was ich als schlechtes Benehmen empfand, begann ich über meine eigenen Manieren nachzudenken. Sicher würden die Deutschen, mit denen ich hier zusammenkam, mich in vielen Situationen auch als anders, wenn nicht unfreundlich empfinden. Bei meinem ersten Kneipenbesuch etwa fiel ich auf, weil ich mein Bierglas an den Mund setzte, bevor jeder mit seinem Prost das Signal dazu gegeben hatte. Des öfteren begann ich plötzlich, an meinem Humor zu zweifeln, wenn ich die Gesichter der anderen beobachtete. Sicher empfanden die mich oft als unfreundlich ...

Ich verließ Hamburg mit einem zerbeulten und angekratzten Set Manieren. Tatsächlich war es das erste Mal, daß ich nach London kam, ohne daß dieses düstere, unfreundliche Gefühl in mir aufkam. Auf dem Flughafen entblößte eine Frau einen wundervollen Satz weißer Zähne in Form eines herzlichen Lächelns, und alles, was mir gelang, in mein eigenes Gesicht zu projizieren, war ein verwirrter Ausdruck, geprägt von dem Gedanken: „Warum, um alles in der Welt, lächelt diese Person mich so an?“ Neela Shah

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