■ Normalzeit: Da lacht die Kommunistensau
Der Ostelbier scheint langsam seinen Witz wiederzufinden! So meinte neulich ein arbeitsloser LPG-Feldarbeiter aus der Prignitz: „Ich habe einen Astra vor der Tür stehen, einen neuen Videorecorder, und unser Haus ist fertig renoviert – jetzt könnte langsam Honecker wiederkommen.“
Ein überall kolportierter Witz geht so: Ein Ostler sitzt allein auf einer Düne inmitten einer riesigen Wüste. Plötzlich kommt ein Westler auf ihn zu, begrüßt ihn freudig – und sagt: „Rutsch mal ein Stück!“
In vielen Ost-Betriebsratsbüros, nicht nur bei Orwo in Wolfen, hängt mittlerweile der fotokopierte Spruch: „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm. Beim Wessi ist es andersrum!“ In Wolfen bezieht sich das insbesondere auf einige Treuhand-Manager, die dort jetzt anscheinend dabei sind, die mit öffentlichen Geldern (ABM) sanierten Industrieimmobilien nun privat zu verwerten – als eine Art Altersversorung für Privatisierungspioniere. Die lästigen Betriebsräte sollen dabei ausgeschaltet werden, die Kommune und das Land dürfen fürderhin nur noch in einem „Beirat“ zu Wort kommen.
Am 18. November 1995 berichtete ich über den Psychoanalytiker Fritz Groß, der aus den Sanatoriumsgebäuden im sibirischen Listvianka am Baikalsee, wo Willy Brandt mit Breschnew und Helmut Kohl mit Gorbatschow und Jelzin parlierte, ein Therapiezentrum für verwöhnte Westler – namens „Neurosibirsk“ – machen wollte.
Der wackere Schweizer ist inzwischen aus dem Rennen, aber die Idee eines psychosozialen Erholungszentrums in Sibirien (Ort des Schreckens aller freiheitsliebenden Westbürger) gedeiht weiter: Bereits auf der 96er Tourismusmesse in Berlin wurden jede Menge ökologisch saubere Trekking-Tours und politisch korrekte Lager-Rundreisen nach Sibirien angeboten: von halbprivatisierten sibirischen Reisebüros und transbaikalischen Bergwacht- Brigaden mit Nebenerwerbs- Ambitionen.
In der Moskauer Zeitung Komsomolskaja Gaseta befand sich jetzt eine große Anzeige des neuen Reisebüros „Gulag-Travel“ – das unter anderem einen mehrwöchigen „romantischen Winterausflug“ nach Kolyma (in das Straflager bei Wladiwostok) anbietet, inklusive Originalverpflegung und -bewachung. (In der Juni-Ausgabe des Sklaven steht dazu bereits Näheres.)
Laut Spiegel – in persona: der Nichte von Justus Frantz – haben sich die Sklaven-Redakteure überhaupt dem West-Haß verpflichtet und sind damit in der elaborierten Prenzlauer-Berg-Szene zur Avantgarde im „German- Bashing“ geworden. Dem vorausgegangen war der Erste-Mai- Ärger mit den West-Autonomen, die ihre Randale heuer komplett in den dortigen Kiez verlegt hatten, was laut Wolfram Kempe der „Sargnagel“ im Verhältnis von Ost- und West-Autonomen war: „Das nächste Mal kriegen sie nicht nur Prügel von den Bullen, wenn sie sich noch einmal in dieser Weise hier danebenbenehmen.“
An sich finden Kempe und Bert Papenfuß aber die „Aufmerksamkeit“, die diesem Ost- Haß jetzt durch den Spiegel-Artikel zuteil wurde, „schon wieder lustig“.
Gar nicht witzig finden hingegen die Kneipiers und Barbesitzer zwischen Oranienstraße und Kurfürstendamm den nach wie vor anhaltenden Trend der Vergnügungsverlagerung nach Osten – zwischen Oranienburger Straße und Kastanienallee. Dort hat jetzt auch noch der „Prater“ wiedereröffnet, wobei die Sklaven-Redakteure an der Programmgestaltung beteiligt wurden. Auch ihre „Torpedokäfer“-Kneipe boomt derart, daß sie planen, das Haus obendrüber zu kaufen sowie eine zweite (Fisch-)Kneipe gegenüber zu eröffnen. Selbst solch eine wirtschaftliche Expansion findet der Ostler inzwischen „doch eigentlich ganz witzig“. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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