: „Da hilft nur die Politikwende“
taz: Herr Dr. Reuter, während heute das Gemeinschaftsgutachten nach weiteren Steuersenkungen und Sozialabbau ruft, fordern Sie das Gegenteil: mehr Staat und höhere Steuern. Gibt es da einen Kompromiss?
Norbert Reuter: Das ist schwierig. Die neoliberale und unsere keynesianische Wirtschaftsauffassung stehen sich relativ unversöhnlich gegenüber. Das lässt sich nicht vermischen. Seit 20 Jahren wird Deutschland nach neoliberalen Vorstellungen erfolglos reformiert. Da hilft nur eine Politikwende um 180 Grad.
Wieso glauben Sie, dass mehr Staat und höhere Staatseinnahmen helfen?
Deutschland investiert zu wenig in die Zukunft. Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir mit einer staatlichen Investitionsquote von 1,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) weit abgeschlagen. In anderen Ländern hat der Staat einen wesentlich größeren ökonomischen Einfluss. Dabei brauchen wir gerade bei Ausbildung, Straßen und Infrastruktur eine exzellente Ausstattung, wenn wir die Probleme meistern wollen.
Im Memorandum 2006 verweisen Sie auf die Erfolge Skandinaviens. Was machen diese Länder besser?
Die soziale Sicherung wird stark über Steuern finanziert und verteilt so die Lasten der Finanzierung gleichmäßiger auf alle Einkunftsarten – also auch auf Kapitaleinkommen. Der Staat ist wichtiger, weil er dort mit einem größeren öffentlichen Dienst und höheren Investitionen mehr Arbeitsplätze schafft und so viel mehr Verantwortung für den Arbeitsmarkt übernimmt.
Wie kann die Politik zu mehr Jobs beitragen?
Sie muss die Rahmenbedingungen setzen, die Arbeit schaffen. Diese Bedingungen müssen vor allem die Binnennachfrage in Deutschland verbessern, denn sie macht gut zwei Drittel der gesamten Nachfrage aus. So würden Investitionsanreize für Unternehmen entstehen. Solange ein Unternehmen die zusätzliche Produktion nicht absetzen kann, wird es keine Arbeitsplätze schaffen. Genau das passiert gerade: Die Unternehmen investieren ihre jetzigen Rekordgewinne nicht in Arbeitsplätze, sondern auf dem Kapitalmarkt.
Glauben Sie wirklich, dass sich die Arbeitslosigkeit mit kräftigen Lohnsteigerungen bekämpfen lässt?
Patentrezepte sind problematisch. Klar ist aber, dass die Lohnentwicklung in Deutschland seit 10 Jahren massiv hinter den anderen EU-Ländern zurückgeblieben ist. Kein EU-Land hatte niedrigere Lohnsteigerungen. So kann die deutsche Exportwirtschaft die anderen EU-Länder gnadenlos niederkonkurrieren. INT.: TA