DURCHS DRÖHNLAND: Vom Gehweg in den samtenen Untergrund
■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche
Das haben wir gerne. Lupenreinen Dark Rock produzieren und sich dann beschweren, daß die gemeinen Kritiker das passende Schublädchen so schnell gefunden haben. Dabei unternehmen Sweet William aus Kerpen einen durchaus ansprechenden Ausflug in die Welt stahlblauer Blumen, bitterer Trauben und grausam endender Liebschaften. Sänger Oliver Heuer hat ein Kinderschänder-Organ, das selbst Andrew Eldritch als lebensfrohen Klamauker erscheinen läßt. Daß der Gitarrensound selbst nicht so getragen ist wie bei den Sisters of Mercy, sondern eher an deren Ableger und Weichspülversion The Mission erinnert, ändert am Gesamteindruck wenig. Diese ganzen Gruften haben ja immer das Problem, daß man sie eigentlich nicht ganz ernst nehmen kann, daß man sich zuallererst an seine eigene nihilistische Phase erinnert, die meistens und wohlweislich direkt im Anschluß an die Pubertät durchlaufen wird (da hat man den ganzen Mist wenigstens auf einen Schlag hinter sich). Aber das gibt es ja immer. Ein paar bleiben stehen, die meisten gehen weiter und beobachten gerne mit einem rückwärtsgerichteten Lächeln die Zurückgebliebenen. Gute Gelegenheit auch das. Zur Ehrenrettung sei noch angemerkt, daß sich auch beim Sisters-Konzert ein Gutteil des Publikums das Schmunzeln nicht verkneifen konnte und daß Sweet William durchaus das Zeug haben, in der Dark-Rock-Oberliga mitzutun.
26.6., 22 Uhr, auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow
Die erste LP der Badtown Boys wurde von Brett Gurewitz produziert, seines Zeichens Mastermind von Bad Religion, die wiederum die momentan erfolgreichste, vielleicht sogar beste klassische Punkband sein dürften. Komischerweise näherten sich die Badtown Boys aber erst auf ihrer zweiten, aktuellen LP an den Sound von Bad Religion an und spielen nun ebenso kurze, knallige, stumpfe, spröde Songs, die 1977 nur zögernd modernisierend aufgreifen und durch eine abgesichert einfallslose Melodik begeistern. Vorher waren sie eher dem Bubblegum zugetan, was in einigem Liedgut noch zum Ausdruck kommt, das gerne an die Ramones erinnert. Textlich können sie eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht verleugnen, eine Aufrichtigkeit, die eine schwarze Motorradjacke genauso betrifft wie die Politik des Alltags, all das, was einen aufrechten Menschen wütend macht. Daraus entstehen dann kleine rauhe Songperlen. Die lakonischste Aktion des Punkrock seit dem Selbstmord von Sid Vicious.
Am 26.6. um 22 Uhr mit Disaster Area im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg
Auf ihrer Debüt-LP klingen The Sweets Of Sin seltsam blutleer, ganz im Gegensatz zu ihren Live-Auftritten, bei denen sich ihre Mischung aus groovigem Rock mit Ethnoeinflüssen und Aspekten deutscher Kabarett-Tradition zum höchsten Glück des Publikums auf das vortrefflichste verquickt. Da mußten erst ein paar Australier (wenn auch teilweise deutscher Abstammung) kommen, sich in Berlin niederlassen und den Eingeborenen zeigen, was eine eigene deutsche Idee von Popmusik sein könnte, denn australisch klingen die Sweets Of Sin ganz und gar nicht, was eine kleine Anekdote belegen soll: Den Text für The Ghosts Of The Battle- Cry, eine Ballade über die nebligen Moorlandschaften Schottlands, schrieb Steve Z. bei flirrender Hitze auf der Veranda seines australischen Hauses.
Am 27.6. um 22 Uhr in der WABE, Dimitroffstraße 101, Prenzlauer Berg
Die letzte LP von Entombed hatte die höchsten Produktionskosten aller bisherigen Earache-Platten. Und Earache ist immerhin das Label, auf dem mindestens die Hälfte aller wichtigen Deathbands erscheinen. Entombed sind Marktführer und definitiv die wichtigste Band der Szene in Skandinavien und sorgten mit ihrer hervorragend bewerteten Debüt-Platte für einen unerwarteten und etwas übertriebenen Run auf nordische Death-Metal-Bands. Von den an Splatter-Motive angelehnten Inhalten haben sich Entombed allerdings noch nicht entfernt — im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen, die sich inzwischen auch für anderes interessieren. Dafür ist der Death noch recht intensiv Metal, wird die Gitarrenarbeit nicht zugunsten der Schnelligkeit vernachlässigt, und gewisse Ruhepausen, die der Mensch nun mal einfach braucht, werden uns auch vergönnt.
Am 27.6. um 21 Uhr im Huxley's, Hasenheide 108-114, Kreuzberg
Immer noch die dämlichste Ska-Band Deutschlands. El Bosso und die Ping-Pongs ist kein Witz zu platt, keine Pointe zu ausgelutscht und kein Bart zu lang. Der Off-Beat sorgt für genügend Anregung, um das Ganze rundum gut zu finden. Man hat schon besser gelacht, aber auch schon schlechter.
Am 27.6. um 22 Uhr im K.O.B.
Eine betörende Bassline, sanfte Perkussion, die gute Gitarre, Pause — dann das gute Riff und »I'm a patient boy, I wait, I wait, I wait...«. Waiting Room war der Song, auf den die autonomen und alternativen Tanzböden im Jahre 1990 gewartet haben. Tanzbarer Gitarrenrock, aber Fugazi waren und sind eben nicht Nirvana und haben deswegen denen etwas überlassen, woran sie sowieso nicht interessiert sind. Fugazi aus Washington D.C. sind Zentrum der dortigen Hardcore-Szene. Mangels momentanem Fehlen einer solchen im Rest des Landes übernehmen sie die Stellung der Überväter auch gleich noch für die ganzen USA mit. Sie beweisen, daß es auch und gerade dort die politisch korrekte Band geben kann, was hoffen läßt und hoffentlich mehr als nur niedrige Preise für dieses Konzert zur Folge hat. Politisch korrekt ist um so erstaunlicher, weil Fugazi keine klaren Statements in ihren Texten und Interviews verbreiten. Sie leben einfach vor. Wichtigstes Ziel ist die absolute Kontrolle über die eigenen Aktivitäten, das eigene Label (Dischord), kein Merchandising, keine Werbung: »Hardcore ist nicht dazu da, weite Verbreitung zu erlangen. Wenn andere Indie-Bands bei einem Major Label unterschreiben, lautet die Ausrede stets: ‘Der Vertrieb ist besser, du kommst überall hin.‚ Aber es geht nicht darum, auf jedem Frühstückstisch der USA zu sein. Es geht darum, deine Musik zu machen und die Kontrolle zu behalten. Wir sagen nicht, unsere Musik ist so großartig, jeder sollte sie hören. Die Sache ist vielmehr die: Musik kann jeder machen. Warum also nicht eine eigene Szene aufbauen und für die eigenen Freunde spielen?« (Ian MacKaye in 'Spex‘) Jeder der vier von Fugazi hat eine umfangreiche Legende in früheren, wichtigen Hardcore-Bands der Washington-Szene, hier sei nur der Name Minor Thread erwähnt, aber vom deklamativ Politischen haben sie sich entfernt. Ihre Themen sind sehr persönliche, so wie sie auch im nächsten Umfeld wirken (Benefizkonzerte, Geld an und Mitarbeit in Hilfsorganisationen). Früher einmal standen Fugazi für 'Straight Edge‘, heute kann jeder aus den Gigs rausnehmen, was er möchte. Es gibt eben kein Patentrezept für die Seligkeit, Fugazi haben das erkannt. Auch daß sie keine Heiligen sind. Aber sie geben sich die größte Mühe.
Am 28.6. mit Tech Ahead um 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
Hier nur kurz erwähnt, daß niemand auf die Idee kommt, wir hätten IHN vergessen. Grant Hart, der warmherzigste Mensch seit Jesus Christus, kommt mit seiner Band Nova Mob. Er ist und bleibt der größte Songwriter seit Franz Schubert, und seit dem Hüsker Dü-Split hat er ausgiebig bewiesen, daß er die liebevollere Seite der größten Band der 80er Jahre war. Höchste Pflicht für jedermann und -frau, die das Herz noch am rechten Fleck haben.
Am 30.6. um 20.30 Uhr im Loft
Hervorgegangen aus der im Raum Boston zu einiger Berühmtheit gelangten Hardcore-Band Jones Very, führen Alloy deren Erbe fort. Jones Very standen am Anfang der Entwicklung im Hardcore, den Punk an den Metal heranzuführen. Alloy machen da weiter, haben aber durchaus auch Lieder im Angebot, die von einschlägigen US-Indie-Kapellen wie Dinosaur Jr. stammen könnten. Da flirren die Gitarren und delirieren die Drums, daß der Abstinenzler trocken high werden möchte. Gar Nirvana (nicht schon wieder!) möchte man heraushören, aber im Gegensatz zu derem sinnentleertem textlichen Gelalle versuchen Alloy einen sozial- und gesellschaftskritischen Standpunkt einzunehmen.
Am 2.7. um 22 Uhr im K.O.B.
Terry Bickers verließ die Meister der Langeweile, House of Love, um ihnen deren Thron streitig zu machen. Er gründete Levitation, aber machte den Fehler, seine Gitarre einen Deut abwechslungsreicher als in seiner Ex-Band zu betätigen. Er war geflüchtet vor dem Egotrip von Guy Chadwick, um seinen eigenen ausleben zu können. In England ist man mit dem neuen großen Ding immer schnell zur Hand, und da das Drumrum eh wichtiger ist als die Musik, erzählt Herr Bickers jede Menge Blödsinn, um anschließend für verrückt erklärt zu werden und sich im darauffolgenden Interview über sein Image erzürnen zu können. Eigentlich ist der Mann nur lustig: »Wenn Levitation Geld machen, werde ich eine Landeplattform für Außerirdische bauen. Ich will kein Herrenhaus, wollte nie eines.«
Am 29.6. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg
Vom Gehweg in den Untergrund ist es nicht weit, dieser hier ist aus Samt. Pavement klingen so eindeutig nach den seligen Velvet Underground, daß der Werbespruch der Plattenfirma einfach nur albern ist: »Come as you are. The hour's new Nirvana.« Die velvetschen Klänge sind nur zart modernisiert, die Stimme gemahnt an olle Lou, die Struktur der Songs lappt ins Monotone, alles so, wie man's gerne hörte und hört. Und definitiv aufregender als Herr Reed, auch wenn dessen Wuhlheider Konzert alles andere in den Schatten stellt.
Am 2.7. um 20.30 Uhr im Loft Thomas Winkler
P.S.: Diesmal Nirvana dreimal erwähnt. Ich warte immer noch sehnlichst auf Spenden aller Art von Geffen.
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