DOKUMENTATION: Strafsache Erich Mielke
■ Stefan König, Verteidiger des früheren Stasi-Chefs, widerspricht der Verlesung von Vernehmungsprotokollen aus dem Prozeß von 1934
Die taz hat mehrmals über das skandalöse Recycling der aus dem Jahre 1934 stammenden Anklage gegen den einstigen Stasi-Chef Erich Mielke berichtet, die dank „tätiger Mithilfe“ der SA und unter der Regie der Gestapo zustande kam. Der Berliner Rechtsanwalt Stefan König, einer der Verteidiger Mielkes, hat jetzt beantragt, daß die Vernehmungsprotokolle der Mitangeklagten des Jahres 1934 nicht — wie von dem Vorsitzenden Richter Theodor Seidel vorgesehen — im Prozeß verlesen werden. Die Umstände dieser Verhöre verletzten die prozessualen Grundrechte massiv, so König, die des Mordes an zwei Polizisten im Jahr 1931 Beschuldigten hätten keine angemessene anwaltliche Vertretung genossen. Käme das Gericht dem Antrag der Verteidigung auf Nichtverlesung nach, wäre der Fortgang des Prozesses gegen Mielke wegen des Polizistenmordes von 1931 zumindest in Frage gestellt. Doch käme Mielke in diesem Fall nicht auf freien Fuß. Inzwischen hat ihm die Berliner Justiz auch Strafsachen zur Last gelegt, die er als Stasi-Chef begangen haben soll. Wir dokumentieren in Auszügen den Antrag Königs, über den heute im Kriminalgericht Moabit entschieden wird.
Grundsätzlich gilt: Eine richterliche Vernehmung, die unter Verletzung strafprozessualer Vorschriften durchgeführt wurde oder auch nur protokolliert wurde, darf nicht durch Verlesung der über sie errichteten Niederschrift in das Verfahren eingeführt werden. Die Verlesung von Protokollen richterlicher Vernehmungen ist zwar nach §251 Abs. 2 StPO auch dann zulässig, wenn sie fehlerhaft zustandegekommen sind. Das gilt aber nicht dann, wenn die Vernehmung selbst unter Verletzung elementarer strafprozessualer Grundsätze zustandegekommen ist. Das gleiche muß für die Verlesung der Niederschriften nichtrichterlicher Vernehmungen gelten, die auf solche Weise zustandegekommen sind. So ist es hier der Fall.
Soweit ich bislang die Akte studieren konnte, fällt mir auf, daß in den nach März 1933 aufgenommenen Ermittlungen lediglich ein einziger Beschuldigter einen Wahlverteidiger benannt hatte. Es handelt sich um den später angeklagten Thunert, für den sich der Rechtsanwalt Müller- Strohmeyer am 27. 4. 1933 meldete.
Bereits drei Monate später, am 27. 7. 1933, legte er sein Mandat wieder nieder. Im Übrigen finden sich in den Akten lediglich Hinweise darauf, daß dem später angeklagten Sasse im Haftprüfungsverfahren ein RA Jaeckel beigeordnet wurde, der zum Haftprüfungstermin nicht erschien. Ferner benannte die Mitbeschuldigte Matern einen Verteidiger, um dessen Beiordnung sie bat, die ihr jedoch verweigert wurde.
Erst nach Anklageerhebung wurden den Angeklagten durch Verfügung des Schwurgerichtsvorsitzenden Pflichtverteidiger beigeordnet, an deren Auswahl sie nicht beteiligt waren. Der Antrag des Angeklagten Thunert, ihm den Rechtsanwalt Müller-Strohmeyer beizuordnen, wurde zurückgewiesen.
Ein Blick auf die justizpolitischen Hintergründe diese Situation erhellt, daß es den in diesem Verfahren Beschuldigten durch Maßnahmen der Justizverwaltung unmöglich gemacht wurde, sich eines Verteidigers ihres Vertrauens zu bedienen.
Am 7. 4. 1933 wurde — in Zusammenhang mit dem sog. Gesetz zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ — ein Gesetz erlassen, das die Entziehung der Zulassung für einen Großteil der jüdischen Rechtsanwälte herbeiführte. Unabhängig von der „rassischen“ Zugehörigkeit eines Anwaltes bestimmte das Gesetz in §3, daß denjenigen Rechtsanwälten die Zulassung entzogen werden mußte, die sich, wie es in dem Gesetz hieß, „in kommunistischem Sinne betätigt haben“.
Das Gesetz gab überdies die Möglichkeit, für die hiervon Betroffenen ein sofortiges Vertretungsverbot auszusprechen. In der Folgezeit entstand in der Anwaltschaft erhebliche Verunsicherung darüber, was unter dem Tatbestandsmerkmal „im kommunistischen Sinne betätigt“ zu verstehen sei. Die Anwaltskammern, im Besonderen die Rechstanwaltkammer Berlin, deren Vorstand bereits im März 1933 mit nationalsozialistischen Funktionären besetzt worden war, taten ein Übriges, um die Verunsicherung unter den Anwälten zu schüren, indem sie reihenweise Kollegen bei der Justizverwaltung denunzierten, sie hätten „Kommunisten“ verteidigt und sich damit selbst „kommunistisch betätigt“. Eine solche Liste legte der Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin dem Preußischen Justizministerium mit Schreiben vom 11. Mai 1933 vor. Auf ihr findet sich auch einer der Rechtsanwälte, die einen der schon vor der nationalsozialistischen Machtergreifung in diesem Verfahren Beschuldigten, nämlich den Hoffmann, verteidigt hatten. Es handelt sich um RA Dr. Ludwig Barbasch, der bereits am 28. 2. 1933 in „Schutzhaft“ genommen und später in das KZ Brandenburg überstellt wurde.
Roland Freisler (damals Staatssekretär im Preußischen Justizministerium, später Präsident des berüchtigten Volksgerichtshofes, Anm. d. Red.) hat in einem Schriftwechsel mit Reichsjustizminister Gürtner die Auffassung vertreten, er stehe „grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß in der freiwilligen Verteidigung von Kommunisten in politischen Prozessen eine Betätigung im kommunistischen Sinne zu sehen ist“. Später heißt es in demselben Schreiben: „Die Kommunisten wurden durch die Hoffnung auf Freispruch oder geringe Bestrafung in Folge rechtskundiger Verteidigung zu weiteren Straftaten ermutigt.“
Von den Möglichkeiten des Gesetzes vom 7. 4. 1933 wurde in der Zeit nach seinem Erlaß bewußt auch gegen solche Anwälte Gebauch gemacht, von denen bekannt war, daß sie alles andere als Kommunisten waren. In den im Bundesarchiv archivierten Unterlagen des Reichsjustizministeriums findet sich der Vermerk eines Referenten aus dem Jahre 1940, in dem es heißt: „Es steht fest, daß 75% (roher Schätzung) der wegen kommunistischer Betätigung entfernten Rechtsanwälte den Kommunisten nicht nahegestanden haben. Das war bekannt auch in den Augenblick, als die Entfernung erfolgte. Von einigen stand fest, daß sie erbitterte Feinde der Kommunisten waren.“
Vor diesem Hintergrund wird es verständlich, daß — von einigen Unerschrockenen abgesehen — kein Anwalt mehr freiwillig die Verteidigung eines Beschuldigten übernahm, der im Verdacht stand, sich an Straftaten im Zusammenhang mit kommunistischen Aktionen beteiligt zu haben. Es fügt sich in dieses Bild, daß Rechtsanwalt Müller-Strohmeyer sein Wahlmandat Ende Juli 1933 niederlegte. Die Gründe, die ihn hierzu bewogen, liegen auf der Hand.
War es aber infolge von Maßnahmen, die in den Verantwortungsbereich der Justiz fielen, für die Beschuldigten in dem Verfahren gegen Thunert u.a. faktisch unmöglich, von ihrem auch in der damals geltenden RStPO (§137 Abs. 1) garantierten Recht, sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers zu bedienen, Gebrauch zu machen, so sind sämtliche Vernehmungen, die unter Verletzung dieses elementaren Rechtes durchgeführt wurden, nicht verwertbar und können gar nicht erst in dieses Verfahren eingeführt werden — und zwar unabhängig von der Frage, ob dem Verteidiger nach damaligen Recht ein Anwesenheitsrecht während der Vernehmung zugestanden hat oder nicht. Denn auch derjenige Beschuldigte, der nicht die Möglichkeit hat, sich vor einer Vernehmung mit seinem Anwalt zu beraten, wird in seinen prozessualen Grundrechten verletzt, selbst dann, wenn der Verteidiger bei der Vernehmung selbst kein Anwesenheitsrecht besitzt.
Ein Gericht, daß heute bei der Beweisaufnahme auf Vernehmungsniederschriften zurückgreift, die unter Verletzung elementarer Verfahrensrechte zustandekamen, einmal ganz abgesehen von der Frage, ob die Vernommenen mißhandelt oder gefoltert wurden, wird zum fragwürdigen Nutznießer solcher Methoden. Die Frage nach der Verteidigung der Angeklagten hat die Öffentlichkeit bereits damals beschäftigt. In einem Schreiben der „chambre syndicale des cochers & chauffeurs de voitures de place de la seine“ an das Landgericht Berlin, das sich — wie viele andere Solidaritätsadressen bei den Verfahrensakten befindet, heißt es: „Entgegen aller Gesetzlichkeit konnten die Angeklagten ihre Verteidigung nicht durch Anwälte ihrer Wahl sicherstellen. Solche Methoden diskreditieren vor aller Welt diejenigen, die sie anwenden, und sie beweisen einen Willen, Unschuldige eher zu töten, als sie schuldig zu sprechen.“ Solche Vorwürfe könnte eine bedenkliche Aktualität erhalten, wenn das Landgericht Berlin rund sechzig Jahre, nachdem diese geschrieben wurden, sich der Vernehmungsniederschriften als Beweismittel bedient, die unter den genannten Bedingungen zustandekamen.
Dr. König, Rechtsanwalt
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