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DM wird offiziell zweite DDR-Währung

Ein Sechs-Milliarden-Kredit aus Bonn wird in der DDR in D-Mark ausgezahlt / Die Mittelklasse als Industrialisierungsreserve entdeckt DDR-Wirtschaftspolitik wird nun in Bonn gemacht: Ost-Berlin legt Haussmann Zeitplan vor / BRD-Bürger dürfen sich in der DDR selbständig machen  ■  Von Bartz & Zausel

Berlin (taz) - Konföderation hin, Neuvereinigung her: Trotz der bis heute bestehenden Existenz zweier deutscher Staaten wird die Wirtschaftspolitik der DDR immer mehr in Bonn gemacht. Nach seinem Kurzbesuch vom Montag in Ost-Berlin im Rahmen des ersten Treffens der deutsch-deutschen Wirtschaftskommission verkündete gestern Bundeswirtschaftsminister Haussmann vor der Presse, welche nächsten wirtschaftspolitischen Schritte die DDR einleiten wird. So kündete der Minister eine Reform des Bankensystems in der DDR an, die auch der schnellen Abwicklung des frisch aufgelegten Kreditprogramms über sechs Milliarden DM dienen wird.

Das von der Regierung Modrow mit Hochfreude angenommene Milliarden-Angebot zur Förderung von Klein- und Mittelunternehmern hat den Autonomiespielraum der DDR -Führung weiter eingeschränkt. Das bewährte Motto „Wer anschafft, hat auch das Sagen“ bestimmt zunehmend die deutsch-deutschen Beziehungen. Kein Wunder deshalb, daß die DDR-Regierung auch bei ihrem Joint-venture-Gesetz einen erneuten Rückzieher gemacht hat und jetzt in Einklang mit den Bonner Politicos die vorgesehene Regelung, wonach ausländische Mehrheitsbeteiligungen die Ausnahme und Minderheitsbeteiligungen die Regel sein sollen, wieder ad acta gelegt hat. Die kleine Einschränkung, wonach sich die BRD-Mehrheiten auf die Betriebsgesellschaften beschränken und die Mehrheiten an den Grundstücksgesellschaften bei den DDR-Partnern bleiben sollen, dürfte bei dem eingeschlagenen Reformtempo keinen langen Bestand haben.

Die jetzt bekanntgegebenen operativen Regelungen des Kreditgeschäftes und die begleitenden Gesetzesvorhaben dürften alle Zweifel an der Ernsthaftigkeit der propagierten Einführung eines Marktkapitalismus aus dem Weg räumen. So können einschlägige Interessenten die Mittelstandskredite nach Angaben von Haussmann „sofort“ aus den Fonds des Europäischen Wiederaufbauprogramms (ERP) abrufen. Die Auszahlung kann auch in der DDR in D-Mark erfolgen - womit die Regierung Modrow die BRD-Währung en passant offiziell als Parallelwährung anerkannt hat.

Bundesbank-Präsident Pöhl hatte in einem Beitrag für die heute erscheinende 'Zeit‘ erklärt, wenn die DDR-Regierung „morgen sagt, wir führen die D-Mark ein, dann gibt es keine DDR-Geldpolitik mehr. Dann wird die Währung der DDR in Frankfurt verwaltet.“ Pöhl ist damit bereits einen Tag zu spät dran.

Pflichtschuldigst legte die DDR-Regierung Haussmann darüber hinaus einen Zeitplan vor, demzufolge am 6. Februar das Niederlassungsrecht und bis zum 20. Februar das Gewerberecht reformiert werden sollen. Das Steueränderungsgesetz zugunsten der Kleinbetriebe soll bis zum April fertig sein. Damit sind dann die Möglichkeiten geschaffen, daß auch BRD -Bürger auf den ERP-Schatz zurückgreifen und sich in der DDR selbständig machen können.

Der Bonner Kredit könnte geradezu einem Lehrbuch zur Herausbildung kapitalistischer Marktbeziehungen entspringen. Die zunächst hauptsächlich aus ERP-Fonds fließenden Geldmittel zielen in erster Linie auf die Förderung einer industrialistisch orientierten Mittelklasse, die nach 40 Jahren DDR-Sozialismus weitgehend von der Bildfläche verschwunden ist. Fortsetzung auf Seite 2

Daß der FDP-Minister mit diesem

Programm seine eigene künftige Wählerklientel befriedigte, ist eher ein Nebeneffekt der Operation. Wie erwünscht solche Bonn-Initiativen in der DDR heute sind, zeigt auch ein Vorschlag von Siegfried Schiller, dem stellvertretenden Forschungsdirektor des Manfred-von-Ardenne-Instituts in Dresden: Er forderte für die deutsch-deutsche Wirtschaftskommission gleich das Recht

auf Gesetzesinitiative in der DDR. Auf über 600 Milliarden DM schätzt er den DDR-Bedarf, solle in den nächsten ein bis zwei Jahren der totale Kollaps der DDR-Wirtschaft verhindert werden. Die neue Mittelklasse der DDR wird auf einen großen Kreditsegen hoffen dürfen, auch wenn BMW gestern bekanntgab, einstweilen sehe man in der DDR noch nicht genügend Kundschaft.

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