: DIE SCHÖNE FALLE
■ Emut - Elektronische Musiktage in der Kongreßhalle
Elektronische Musik (E.M.) in den Fünfzigern: Gespinst unerreichbarer esoterischer Geister. Sechziger: Visionäre Utopie radikaler Umstürzler. Siebziger: E.M. ist das, was in den Weltraum entfleucht. Achtziger: Ach, hör bloß auf, is ja eh alles elektronisch.
Die E.M. hat viele Geschichten. Der Begriff war immer schon undeutlich, heute gar inflatorisch aufgeschwemmt. Aber immer war er in sich widersprüchlich, da er stets Radikales und Utopisches versprach, aber nur Introvertiertes, Defensives hielt.
Stockhausens musikalische Forschung der End-Fünfziger scherten sich nicht um Vermittlung; eher hütete die Neue Musik ihren Gral, um ihre Position als elitäre Avant-Garde nicht aufgeben zu müssen. In Pop und Jazz taucht die E.M. erst kurz vor den Siebzigern auf. Nach einigen wüsten Experimenten von Zappa, Sun Ra oder der inzwischen vergessenen Gruppe „The United States of America“ wird E.M. in der Pop-Musik von deutschen Gruppen vereinnahmt. Und läßt man alle posthumen Erkenntnisse über „Kraftwerk“ aus Düsseldorf mal beiseite, so dampfen zu jener Zeit die dicksten Klangwolken über Edgar Froeses Gruppe „Tangerine Dream“. Hatten unsere Eltern in der Negermusik mit Mühe noch einen Marschrhythmus ausmachen können, so kam nun die Angst auf, das monotone Gewabbere und Gepfeife könne die gerade erworbene Hifi-Anlage kaputtmachen.
So fühlte sich der Jung-Hippie wohl. Die Trotz-Distanz zum Zuhause war hergestellt. Die Knöpfe an den Apparaten der Musiker indes versprachen den Schlüssel zum Glasperlenspiel kosmischer Dimension. In den Achtzigern ist das erreicht, was sich der E.M.er seit 30 Jahren gewünscht hat. Die Erzeugbarkeit, die totale Manipulierbarkeit von allem, was mit Ohren wahrzunehmen ist. Doch stopp! Der Charme der schönen Falle ist verlogen. Der digitale Mop wischt alle Fugen rein, füllt die Nischen mit Sauberkeit. Wer kann schon an gegen die Wucht starker, tiefer Klänge, jauchzender Obertonreihen und farbiger Geräusche? Ein Langweiler, der da nicht zugreift oder gar noch selber bastelt und ausprobiert.
In der Kongreßhalle ist bis zum 22. Oktober eine Ausstellung über „Tangerine Dream“ zu sehen. Die Geschichte einer Gruppe und eines Teiles der E.M. Für Fans sind zu sehen: Plakate, Plattencover, Apparaturen, Dokumente und Fotos. Edgar Froese at Warsaw-Concert. Christoph Franke in the streets of Tokyo. Lutz Manthe, der Veranstalter, schaute am ersten Tag etwas sorgenvoll: Fühlte er sich doch vom Objekt seiner Obsession, der Gruppe „Tangerine Dream“ in Gestalt von Edgar Froese alleingelassen, der zu diesem großen, teuren Veranstaltungsort gedrängt hatte und nun die Ausstellung doch nicht finanziell unterstützen will.
Im musikalischen Beiprogramm der Ausstellung spielte am ersten Abend Altmeister Christian Kneisel und sein Schüler Daniel Jungtalent Wandke auf allerlei Tastatur.
Ein gutes Zeichen stellte sich gleich zu Anfang ein: Die ersten Reihen verließen kopfschüttelnd und die Ohren zuhaltend den Vorführraum. Dieser Lautstärke hielten tatsächlich nur Schwerhörige und Alt-Punks stand. Wer geblieben war, hörte E.M. pur. Christian Kneisel ist der Ziehvater so manches Erzeugers elektronischer Klänge. Wohl nur wenige in Berlin besitzen seinen Überblick und sein Know -how bezüglich industriell gefertigter elektronischer Musikinstrumente.
So geriet sein Vortrag zu einer exzessiven Vorführung derselben. Ein Füllhorn von Rock-Rhythmen, Breaks, aberwitzig springender Baßlinien, schräg aufgetürmter Akkorde verband sich mit scharfen, obertonreichen Industrie -Sounds, gesampelten Bläsern oder Stimmen. Kneisel löste für sich das oben beschriebene Dilemma neuer E.M. durch Flucht nach vorne. Die Dichte seiner zuerst recht traditionell wirkenden Tonfolgen übersteigt zuweilen das Faßbare. Obwohl Kneisel (nach eigener Auskunft) lieber in einer Disco aufgetreten wäre, überfordert er ein Disco-Publikum. So unbeabsichtigt es sein mag, grenzt die Klangdichte doch oft an die Tontrauben der Neuen Musik heran.
Zu kämpfen hatte Kneisel, wie jeder, der E.M. vorführt, mit der Präsentation. E.M. wurde in der Anfangszeit als sogenannte nichtinstrumentelle Musik klassifiziert, was den Umstand ausdrückt, daß mit dem erzeugten Ton notwendig keine analoge veranlassende Körperbewegung einhergeht; wie beispielsweise die Armbewegung beim Streichen der Geige. Statt dessen wird kein Instrument in Schwingungen versetzt, sondern der Druck auf Knöpfe oder Tasten ruft Speicher ab und leitet Befehle innerhalb der Apparatur weiter. Und eigentlich ist der anwesende Körper (der Instrumentalist/Komponist/Vorführer) nach dem Einschalten nicht mehr so wichtig für den weiteren Verlauf der Musik. Als Ersatz für körperliche Aktion flimmerte über Kneisel und Wandke kläglich eine farbige Disco-Lichtorgel, die den Wirbeln der Musik nicht folgen konnte. Zu ereignisreich waren die aufgeschichteten Klangberge. Es war ein schlechter Abend für die Disco-Musik, aber eine gute Geschichte für die Liebhaber breitbandigen Rauschens.
A.v.H.
Ausstellung „Tangerine Dream“ im Rahmenprogramm Workshops und Performances, noch heute und morgen.
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