DIE SCHLAGLÖCHER IM OSTEN HATTEN AUCH IHR GUTES : Kapitulieren vor der weißen Scheiße
VON LEA STREISAND
Nun ist es doch Winter geworden. Schau einer an. „Blitzeis!“, jubelt das Radio. „Überfrierende Nässe“ heißt es im Internet. Auf meinem Handy steht „Schneeschauer“. „Das war’s dann“, denke ich und sage vorsorglich alle Termine für die nächsten drei Tage ab. Ich kann bei Glatteis nicht laufen. Gar nicht. Nicht so’n bisschen nicht. Nicht so „Huch da fühlt man sich ja ganz unsicher“. Nein. Rien ne vas plus. Nichts geht mehr.
Ich habe einen Gehfehler. Von Geburt an. Ein Bein ist kürzer als das andere und nicht so beweglich. Den meisten fällt das gar nicht auf. Ich hatte schon mal was mit einem, der nach zwei Wochen Affäre meinte: „Samma, wie loofst’n du heute?“ Gut, die meiste Zeit hatten wir im Liegen verbracht, das muss man zu seiner Ehrenrettung hinzufügen.
Aber jetzt will ich nicht liegen. Ich will beweglich bleiben. Und das geht nicht. Weil die weiße Scheiße mir den Weg versperrt.
Zum Glück hat die BSR ihr Streugut bis jetzt aufsparen können und war darum zugegebenermaßen schnell im Einsatz. Die letzten Jahre starrte der österreichische Teil unserer Familie immer fassungslos auf die Arbeit der Berliner Stadtreinigung, beziehungsweise auf die Ruhe, die sie weghatten, wenn es ums Freiräumen der Fuß- und Fahrradwege ging. „In Wien wäre das undenkbar“, sagte Klaus.
Hier in Berlin bin ich jetzt richtig behindert. Ich kann nicht Fahrrad fahren und laufen nur mit Begleitung, denn wenn ich rutsche, dann liege ich. Und liegen will ich nicht, wie gesagt.
Gehn wie ein Pinguin
In den sozialen Netzwerken kursiert seit Montag eine Lehrtafel, Titel: „Walk Like a Penguin to Avoid Slipping on Ice“. Man soll das Gewicht beim Laufen nach vorne verlagern, dann fällt man nicht auf den Arsch. Mein Gewicht ruht immer auf den Vorderfüßen beim Laufen. Deshalb falle ich aufs Maul, wenn ich falle. Liegen muss ich trotzdem.
Auch die S-Bahn kam am Mittwoch zum Erliegen. Schienenbruch am Bahnhof Ostkreuz. Da sind sie zuverlässig. Kaum berühren die Temperaturen einmal den Minusbereich, brechen die Katastrophen über den Nahverkehr herein wie das Eis unter den Pinguinen im Tierpark.
Paul hat gesagt, die alten Ost-Gehwegplatten in Mitte, die seien am besten begehbar gewesen am Montag. „Die haben eine dermaßen raue Oberfläche, da ist man sogar bei Blitzeis eher gestolpert als gerutscht“, hat er gesagt. Ja, das ist das Problem! Die Wessis mit ihren lackierten Gehwegen! Zu Ostzeiten sind wir mit Armeestiefeln von Schlagloch zu Schlagloch gestampft. Da gab’s gar kein Glatteis!
Der fußgängerfeindlichste Fußgängerüberweg, den ich kenne, ist übrigens der Fußgängertunnel am S-Bahnhof Sonnenallee. Jedes Mal, wenn ich da die Treppe runterlaufe, rutsche ich. Die Stufen sind so glatt, da reicht schon ein wenig Nässe, und die Treppe wird zur Todesmaschine. Müsste es nicht irgendwelche DIN-Bestimmungen geben, die so was verhindern?
Genau wie diese Rillen an Ampeln und Fußgängerüberwegen heutzutage, ursprünglich als Markierung für blinde Menschen gedacht. Die werden bei Regen und Schnee zu Slipanlagen für Fußgänger. Nicht Einlagen. Slipanlagen heißen die Vorrichtungen, mit denen Schiffe zu Wasser gelassen werden. Seeleute benutzen auch Sextanten …
Vielleicht kapituliere ich doch vor dem Wetter und tue, was es mir aufzwingt: liegen bleiben. Weckt mich, wenn der Frühling kommt.