: DIE KUNST DES STRAFENS
■ "Ghosts ... Of The Civil Dead" im Sputnik I
DIE KUNST
DES STRAFENS
„Ghosts ... Of The Civil Dead“ im Sputnik I
Der untote Geist der Zivilisation spukt durch dreieckige Betonlabyrinthe, seine Insassen in grellblauen und knallorangen Uniformen sind Gefangene eines wahnsinnigen Gehirns, deren Wände ein irrer Sozialarbeiter in quietschendem Optimismusgelb und brachialem Brechreizviolett gestrichen hat. Hinter undurchdringlichem Spiegelglas sitzen die Kontrolleure des Wahns und beobachten jede Gehirnwindung. Das zentrale Industriegefängnis: die gesellschaftlich organisierte Rache feiert sich philosophisch als neue Kunst des Strafens - „safe, secure, humane“ - im Niemandsland einer vom Leben verlassenen Wüste.
Drei Jahre lang haben die Australier John Hillcoat und Evan English in diversen Gefängnissen der USA und in Australien recherchiert; das Ergebnis ist ihr erster Spielfilm „Ghosts ... Of The Civil Dead“, ein fiktiver Knastreport, teilweise gespielt von Leuten, denen sich die Erfahrung jahrelangen Eingesperrtseins in die Psyche gebrannt hat.
Strafe ist Organisation, auf drei Ebenen abgestuft: der „normale Strafvollzug“ gestattet im eigenen Block völlige Bewegungsfreiheit. Die Gefangenen bringen ihre „Freiheit“ mit TV und Drogen rum, bei Stromausfall und Stoffknappheit droht gegenseitiger Mord und Totschlag. Geduldete Korruption und brutale Machtansprüche halten das wacklige Knastgefüge zusammen, auf dem Schwarzmarkt kann man sich alles besorgen, über Junkfood und Sex bis hin zu Tätowierungen. Im Bereich der „verschärften Haftbedingungen“ herrscht ein Dauerkriegszustand zwischen den Gefangenen und den Bullen. Der Tod einer weißen Polizistin auf dem TV wird bejubelt; die hier einsitzen, sind gefährlich, denn ihre Intelligenz artikuliert sich als Haß. Der Tote Trakt schließlich ist das Nichts vor dem Abgrund, dahinter erstrecken sich endlose Korridore mit schweren Eisentüren, deren seltenes Knarren von den geräuschisolierten Zellen völlig geschluckt wird. In diesen Abgrund wird man gestoßen, um sich endgültig das Genick zu brechen.
Der Film beginnt mit dem Ende des „Experiments“, der abgestuften Strafung. Der Notstand ist deklariert, die Folge: totaler Einschluß aller Gefangenen, Entzug und Beseitigung aller Privilegien und zustehenden Rechte. Ein Bulle wurde ermordet, ein Häftling von paranoiden Wächtern gehängt. Während der offizielle Bericht verschärfte Sicherheitsmaßnahmen zur „Konfliktlösung“ fordert, registriert der Film mit den Mitteln des dokumentarischen Science-Fiction die Eskalation der Gewalt. Sie ist kalkulierter und geplanter Bestandteil eines Vernichtungsprogramms und keinesfalls ein unvorhersehbarer Unfall des Systems. „Ghosts ... Of The Civil Dead“ ist mehr als nur ein Gefängnisfilm: „It's about your world with the volume turned up loud“ - dafür sorgt der Hirnsägerblues der gequälten Altherrenriege Cave, Bargeld und Harvey.Andreas Döhler
Sputnik Wedding, Do, 23.30, Fr, 21.30 Uhr.
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