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Archiv-Artikel

DIE GEDANKEN SIND FREI – BIS DAS HIRN IMPLODIERT Wohin mit der Wut?

JOSEF WINKLER

Wissen Sie, was ich letztens beinahe in die taz hineingeschrieben hätte? Jetzt halten Sie sich fest! Ich hätte letztens beinahe in die taz hineingeschrieben, dass ich persönlich diese „Demonstration“ von Hooligans und Neonazis in Köln vor ein paar Wochen dazu genutzt hätte, in diesen widerlichen Haufen von Unmenschen mit großkalibrigem Gerät dreinzuschießen. Also: Ich hätte es nicht beinahe getan, man ist ja nur ein kleinkalibriger Kolumnist, und überhaupt. Dieses „und überhaupt“ jetzt bitte richtig so verstehen, dass es mir in Wirklichkeit selbstverständlich nicht einfallen würde, irgendwo mit irgendwas dreinzuschießen. Aber ach – die Fantasie. Die Gedanken sind frei, und mir gehen sie in der letzten Zeit durch.

Ich ertappe mein Hirn immer öfter dabei, dass es in Reaktion auf die neuesten Meldungen von grauenvoller, unvorstellbarer Grausamkeit und entmenschter Dummheit kalte Gewalt- und Vernichtungsfantasien produziert. Schmerzt Sie das jetzt in Ihrer linksliberalen Seele, so etwas lesen zu müssen? Sagen Sie, wer so was denkt und auch noch hinschreibt, der ist selbst nicht besser? Und ich soll lieber anfangen, Egoshooter zu spielen, statt solche Texte zu schreiben?

Vielleicht haben Sie recht. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, und Sie müssen auch nichts sagen – solche Gedanken, so man sie hegt, behält man im zivilisierten Miteinander ja besser für sich. Ich lasse sie heute raus, weil ich einfach nicht mehr kann; Sie können entscheiden, wie abstoßend oder verständlich Sie das finden. Seien Sie versichert: Mir graust es vor mir selber. Ich weiß nicht, ist es psychischer Selbstschutz in Zeiten, in denen ein Wort wie „Enthauptungsvideo“ in den regulären Nachrichtensprech eingegangen ist, oder verrohe ich einfach auch schon? Hilflos höre ich zu, eine namenlose Wut schwillt an und mein Denken wird fortgerissen in Regionen, in die ich nie wollte, und der Zorn auf die, die mich dahin bringen, wird immer noch größer.

Wenn zum Beispiel im Radio ein Feature läuft über deutsche Jugendliche, die zum Salafismus konvertieren und erst ihr Umfeld mit ihrer verblödeten Extremistenpisse terrorisieren, bevor sie dann zur Agonie ihrer vor Gram schon halb irren Eltern abhauen, um in ihren angeschissenen „heiligen Krieg“ zu ziehen und Menschen unaussprechlich zu quälen und umzubringen, dann denke ich nicht: Wer bringt diese von skrupellosen Menschenfängern verführten jungen Leute zurück auf den richtigen Weg? Sondern ich wünsche ihnen, dass sie in den Minuten ihres Todes, den sie hoffentlich finden, bevor sie noch viel mehr Leid anrichten können, zu sich kommen und ihnen ihre ganze hirngewaschene Radikalisierung nichts mehr hilft und sie mit klarem Blick erkennen müssen, ohne Trost, ohne Hoffnung und ohne Gott, was für armselige Arschlöcher sie sind und wie gut es jetzt wäre bei Mama auf dem Sofa oder mit den Freunden in der Kneipe. Schrecklich, gell?

Ich weiß. Ich höre jetzt auf damit. Ich will so nicht sein. Ich wünsche uns allen einen friedvollen Advent.

DIE FÜNFTAGESVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin

Mittwoch Matthias Lohre Konservativ

Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe

Freitag Michael Brake Kreaturen

MontagAnja MaierZumutung

Den wird es nicht geben, aber man darf doch mal die Fantasie spielen lassen.