: DER KOMMUNIKATIONSKATALYSATOR
■ Ernst Baumeisters Retrospektive „Das Jahr des Hundes“
„Die Geschichte mit dem Hund...“, ob mit Mißtrauen oder Begeisterung, in einer Stadt, deren Bevölkerung sich in Hundegeschädigte und Hundeliebende teilt, stellt jeder bei diesem Thema die Ohren auf, riskiert einen zweiten Blick. (Ich werde aber nicht mit dem Schwanz wedeln! d. säzzer) Dem Künstler mit dem Hund ist die Aufmerksamkeit sicher.
Als Ernst Baumeister vor über einem Jahr nach Berlin kam, suchte er nach einem Vehikel, um sich selbst als Künstler bekanntzumachen. Er kam auf den Hund als Medium, nicht nur, weil das Tier geeignet schien, die Hürden zwischen Kunst -Insidern und dem Normal-Bilder-Verbraucher leicht zu überspringen, sondern auch, weil ihn die Vieldeutigkeit des Zweibeiners reizte. Der Hund auf der Straße und seine Bedeutung als Statussymbol, Kommunikationsstifter oder selbstgewählter Isolationshaft-Wächter in der Psychologie der Berliner war dabei nur ein Aspekt. Baumeister sah seine Hunde als Katalysatoren menschlicher Gefühle. Sie funktionieren als Wunschmaschine, als Projektionsfläche für Phantasien des Menschen über Freiheit und Instinkte.
In seinem „Jahr des Hundes“ begann Baumeister eine Serie von Faltblättern an über hundert Adressaten zu verschicken. Anfangs zitierte er Zeitungsausschnitte, die den mehrdeutigen Gebrauch des Hundes in der menschlichen Kommunikation dokumentierten: der Hund als Held des Alltags, der Hund, der zum Bild menschlicher Tugenden - Treue und Ehrlichkeit - genommen wird. Hundegeschichten transportieren den Glauben an einen reinen und unverdorbenen Naturzustand. Die Texte versah Baumeister mit Grafiken, die erst die Unschuld von Schulfibel-Illustrationen, die Eindeutigkeit von Pictogrammen, die Harmlosigkeit der Seite für die Hausfrau vorgaukelten. Doch die Bildchen von Herr und Hund entblößten sich bald als falsche Etiketten einer Geschichte der Obsessionen. Hundegeschichten als Pornographie-Ersatz. Baumeister zeichnete die Viecher mit nadelspitzen Strichen, mit kleinen tückischen Widerhäkchen, und trieb die aggressiven Momente an die Oberfläche. Aus einem Gewimmel kleinster Striche stürzten plötzlich überall Hunde heraus und wurden zu Verfolgern des Verdrängten. Auf den Hund fixiert, fand Baumeister überall Material, von Freunden unterstützt und beliefert. In der Tierpsychologie, die den Hund als Objekt der Wissenschaft nimmt, enthüllte sich eine sadistische Lust. Dressurakte der Unterwerfung des Tieres unter den Menschen nahmen einen ambivalenten masochistischen Zug an, wenn Mensch und Hund ihre Rollen zu tauschen schienen. Der Hund wurde zum Versatzstück jeder Art von Geschichten, zum ausgeliehenen Instrument, um sich verloren geglaubte Instinkte zurückzuerobern.
Baumeister bannte diese Bedeutungen des Hundes in zeichnerische Chiffren von halbtierischen, halbmenschlichen Mischwesen, die er jetzt für die Retrospektive in Plakaten vergrößert hat. Außerdem aber schnitt er seine Hunde -Phantasien in Holz, setzte dem Hund, der erst nur sein Medium gewesen war und inzwischen als Botschaft übermächtig geworden ist, Monumente von der magischen Stärke der Totems sogenannter primitiver Kulturen.
„Innere Ordnung“: 300 Hunde sehen dich an. Kantige Schnauzen, aufgestellte Ohren. Mit Einkerbungen, Rillen, Dreieck- und Quaderformen reduzierte Baumeister die Köpfe auf einfache Formen und hält sie kompakt, stapelt sie zu einer Wand übereinander. Es ist eine Totemwand hiesiger Götter, Denkmal auf dem Friedhof der an Neurosen und Fleischvergiftung gestorbenen Krieger der Bürgersteige, Trophäensammlung eines Hundekillers, gruseliges Ersatzteillager eines Tierpräparators. Doch anstelle dieser Meute grimassierender Schnauzen könnten auch 300 menschliche Physiognomien stehen.
Zwei grobe Bauholzklötze hat Baumeister wie eine Wippe über einen Bock gelegt. Ausgeformt ist nur das Hundehinterteil, vorne sind die Blöcke an die Wand gekettet. Ein Eindruck von Gegen-die-Wand-Rennen, von sich-zu-Tode-Hetzen entsteht. Gezüchtete Gefährlichkeit: in ihrem Angekettet-Sein erzeugt sich ihre Bedrohlichkeit. Die wippende Balance der massiven und wuchtigen Holzkörper erzählt dabei zugleich von einer scheinbaren Beherrschung, die die Macht über die Tiere und deren Gewalt im Gleichgewicht zu halten können glaubt. Omnipotenzphantasien.
Katrin Bettina Müller
„Das Jahr des Hundes und seine Folgen„; Retrospektive in der Mehrzweckhalle Crellestraße 19, bis zum 12. März, 16-22 Uhr. Baumeister ist während der gesamten Ausstellungsdauer anwesend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen