DER KIRCHENTAG WURDE TATSÄCHLICH ZU EINER „ZEITANSAGE“: Ziviler Impuls biblischer Worte
Wenn derartige Kategorien hier überhaupt greifen, dann gilt: Der Kirchentag in Frankfurt am Main war ein Erfolg. Er wird zu den gelungenen Christentreffen gerechnet werden, denn er vermochte zu erfüllen, was eines seiner vornehmsten Ziele ist – Impulse in die Gesellschaft auszusenden.
Der Grund: Der Protestantentreff fand ebenso wie etwa die Kirchentage in den Achtzigerjahren sein klares Thema und war zugleich auf der Höhe der gesellschaftlichen Diskussion. Ging es 1981 und 1983 um die Friedensbewegung, setzte das diesjährige Laientreffen Zeichen in der aufregendsten und folgenreichsten Debatte der Gegenwart: Wie weit darf die Gentechnik gehen? Oder mit biblischen Worten: Wie weit darf der Mensch in die Schöpfung eingreifen, gar Gott spielen?
Es lag an diesem Zwischenthema zwischen Politik und Transzendenz, dass der Kirchentag zu einem dringend notwendigen zivilgesellschaftlichen Forum werden konnte: War die Gentechnikdebatte bisher im Wesentlichen ein Streit zwischen Forschern und Politikern, konnte der Kirchentag sie dorthin holen, wohin sie gehört: mitten hinein in die Gesellschaft nämlich, an den Stammtisch, an den Abendbrottisch und eben auch in die Kirchen. Die Ethikkommission will erst in zwei Jahren etwas zur Gentechnik sagen, wenn die Forschung schon viel weiter sein wird und auch die Fragen schon wieder andere sein werden. Die Christen waren schneller, Gott sei Dank!
Nun war (wie auch?) das Frankfurter Votum zwar nicht völlig eindeutig, aber die Kernaussage steht: Der Lebensschutz muss schon bei der befruchteten Eizelle beginnen, er ist wichtiger als alle Träume der Wissenschaft. Diese klare politische Forderung führte denn auch dazu, dass sich die Politik wieder für den Kirchentag interessierte: Erstmals seit 1987 war ein Kanzler als Gast zugegen, und der in der Genforschung blind vorpreschende NRW-Ministerpräsident bekam zu Recht Zunder. Es wird Kirchentage geben, wo mehr gebetet wird und die Selbstreflexion der Kirche wieder einen größeren Raum einnehmen wird. Dieses Mal aber war es anders – und das war gut so. PHILIPP GESSLER
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