: DDR-Bürger sollen Utopien bewahren
Kongreß des BRD-Gewerkschafts-Dachverbandes wählte konservativen IG-Bergbau-Boß zum neuen Chef / IGM-Steinkühler: „Es gibt wichtigeres als die deutsche Einheit“ / DDR-Verbände sollen einzeln beitreten ■ Aus Hamburg Bornhöft/Kempe
Es lief alles wie geplant beim Bundeskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), der heute in Hamburg zu Ende geht. 63 Prozent der 525 Delegierten aus den Einzelgewerkschaften, mehrheitlich hauptamtliche Funktionäre, wählten wie vorgesehen Heinz-Werner Meyer (57) von der IG Bergbau und Industrie (IGBE) zum Vorsitzenden. Dem konservativen Großvater (drei Enkel) stellte der Dachverband Ursula Engelen-Kefer (SPD) und den ehemaligen Sozialsenator West-Berlins, Ulf Fink (CDU), als stellvertretende Vorsitzende zur Seite. Für die von manchen GewerkschafterInnen so dringend erwartete Erneuerung des Deutschen Gewerkschaftsbundes steht dieses Trio ganz gewiß nicht. Politische Anfragen zu seiner Person beantwortete Kandidat Meyer mit dem Argument „Reden werden erst nach der Wahl gehalten“ nicht. Murren im Saal, aber die Mehrheit beugte sich, auch wenn Meyer alles andere als ein Wunschkandidat war, zu dem der DGB trotz monatelanger Suche keine Alternative gefunden hatte.
Der Sozialdemokrat steht für einen atomfreundlichen Konsens mit der Bundesregierung, hält die Grünen für ziemliches Teufelszeug und hat sich in den Auseinandersetzungen um den sterbenden Industriezweig Bergbau meist an das Credo seines IGBE-Vorgängers gehalten: „Wenn wir auf die Straße gehen haben wir schon verloren.“ Gleichwohl genießt er Sympathie unter den Bergleuten, die seine Gewerkschaft vor Arbeitslosigkeit weitgehend bewahren konnte. Kompromißlos ist Meyer nur in einem Punkt: im beharrlichen Durchsetzen von Kompromissen.
Für einen solchen hält er den Staatsvertrag zwischen DDR und BRD. Dem SPD-Kanzlerkandidat entgegen sagt Meyer: „Da kann man nur zustimmen, eine SPD-Regierung hätte auch nicht mehr rausholen können.“ Ähnlich hat der DGB-Kongreß in einer „Entschließung zur deutschen Einheit“ den Staatsvertrag grundsätzlich begrüßt.
Die Vereinigung der Gewerkschaften wird sich nicht als Zusammenschluß unterschiedlicher Organisationen aus West und Ost vollziehen, sondern in Form des individuellen Beitritts von DDR-Beschäftigten zu den DGB-Gewerkschaften, die ihren Geltungsbereich auf die DDR ausdehnen werden. Dabei werden sie einen Teil der Strukturen der in den letzten Monaten in der DDR selbständig gewordenen Branchengewerkschaften übernehmen. Wer in diesem Prozeß das Sagen hat, demonstriert die IGBE: ihre DDR-Schwester darf keine Personalentscheidung ohne das Plazet der Bochumer Verwaltung treffen.
Freundlich aufmunternde Worte für die GewerkschafterInnen jenseits der Elbe fand Steinkühler dennoch. Sie dürften sich angesichts des Zusammenbruchs der Republik nicht die Utopien nehmen lassen. „Ich weigere mich, die Vorstellung aufzugeben, daß es eine bessere Gesellschaft geben könnte.“ Angesichts der ungelösten globalen Probleme gäbe es „wichtigeres als die deutsche Einheit“. Das Knallen der „ideologischen Sektkorken“ über den „Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus“ macht den Metall-Gewerkschafter mißtrauisch. Rechtsaußen Hermann Rappe von der IGChemie rückte das gerade: alles Lamentieren über den schrecklichen Kapitalismus gehe an der Realtität vorbei. „Streitkultur“ nennt der DGB derartige Reden.
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