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DAS HELFERSYNDROM

■ „Küß mich, gelber Engel“ von Jockel Tschiersch im BKA

Als Kind war für mich die gräßlichste Vorstellung, einen Tankwart heiraten zu müssen. Schlimmeres konnte ich mir nicht denken - immer dieser Benzingestank! Dafür haben wir Kinder im Auto auf Landstraßen oft die Tankstellen gezählt, damit was los war und ein bißchen Struktur in die Sache kam.

Jockel Tschiersch wiederum ist als „letzter Pannenhelfer“ am Rande des Universums ausgesetzt - Autobahnteilstück 695 und hofft, daß endlich die feierliche Einweihung stattfindet oder daß ein Auto 'ne Panne hat, damit er seine Mechanik -Elektro-Manie daran ablassen kann.

3000 nach Diogenes wäscht er sich an der Tonne, und auch sonst ist alles in seinem Leben aus Blech und Kabel. Eine Reinkultur des Schrotts ohne Außenweltverbindung. Dies ist das allergrößte Problem, aber seine Innenweltverbindung ist eigentlich genauso kaputt. Der Sinn des Lebens besteht für ihn darin, Euro-Schutzbriefe des ADAC zu verkaufen. Er felefoniert mit seinem Freund Erich, der einen Magirus hat. Aber Erich kommt nie. Godot kam ja schließlich auch nie. Das vergebliche Warten...

Der Gelbe Engel monologisiert über alles hin und her, hektisch verbissen in seine desolate Situation: „Ich geh‘ hier nicht weg!“ Er ist ein typisch männlicher Fortschrittsfetischist, dessen Libido gänzlich in richtung Auto läuft. „Der Natur fehlt die exakte Struktur“, „Wir haben die besten Autobahnen der Welt“, und die Leitplanke ist „jungfräulich, bis es zum ersten Mal gebumst hat“.

Pannenhilfe ist Psychologie, und die Psyche des Motors zieht der Gelbe Engel jedenfalls der Mechanik der Menschen vor. Nur eine Ausnahme gibt es da: jene Miezen, die hinten in den Autos sitzen. Eine war mal alleine und ihr Auto kaputt, da hat er sich drunter gelegt und rumgeschraubt. Sie saß im kurzen Rock gerade so, daß er einen guten Blick frei hatte auf ihren Brasil-Tanga, der war wie eine plane Fläche. Und schließlich hat diese Mieze geflüstert: „Küß mich, gelber Engel.“ Er hat es aber nicht getan. Hätte er man nur.

Jockel Tschiersch möchte „diesmal kein Kabarett zeigen, sondern ein Kammerspiel, vielleicht eine Zwischenform“. Er hat sich also einen verzweifelten Helden aufgeladen, dessen psychische Verfassung sicher kein Einzelfall ist, im Gegenteil. Der Technik-Bewunderer, der ohnmächtige Kleine, der groß sein möchte, die Regenwälder roden, dort ein VW -Werk bauen „im Namen des allmächtigen deutschen Automobilclubs“ und eine Autobahnstruktur schaffen... Er könnte ebensogut Held für Greenpeace sein, im Flieger wie ein dreijähriger Junge rumdüsen, alle abballern, die ihm nicht gefallen. Er haßt die „impotenten Weltverbesserer“ von heute - „wenn alles in den Arsch geht, ist doch mir egal“. „Das Ozonloch können wir mit der Nordsee vollkippen.“ Der proletarische Choleriker prügelt, peitscht sein Auto, dann kommt die Reue. Er ist insgesamt ja sehr traurig und liebt das Auto eben doch: „Vielleicht bist du sogar Gott, vom Menschen erschaffen, aber unsterblich.“

Diese Sinfonie eines Versagers ist quälerisch zu sehen und zu hören. Die Tragik hat keine rechte Form gefunden. Jockel Tschiersch hat die traurigen Momente nicht ausgelotet. Der Held ist genauso hektisch in seiner einsamen Verzweiflung wie in seiner permanenten Auto-Glaubens-Besessenheit. So löst sich die Situation weder zum Ernst hin auf noch zur Komik. Und wer Autofan ist, erkennt manches Dilemma wieder, aber die, die „freie Fahrt für freie Bürger“ brauchen, bleiben diesem „Lehrstück“ sowieso fern.

Sophia Ferdinand

„Küß mich, gelber Engel“ mit Jockel Tschiersch im BKA, Mehringdamm 34, Mittwoch bis Sonntag, jeweils um 20.30 Uhr

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