Coronakrawalle in den Niederlanden: Gefährliche Entfremdung
Die gewalttätigen Anti-Corona-Ausschreitungen in Holland sind auch Ausdruck einer Entfremdung zwischen Bevölkerung und staatlichen Institutionen.
D iffus ist eines der Worte, das am Tag nach diesem historischen Wochenende in den Niederlanden häufig genannt wird. Der ersten nächtlichen Ausgangssperre seit der deutschen Besatzung folgten die am schwierigsten einzuordnenden Ausschreitungen der letzten Jahrzehnte.
In mehr als zehn Städten eskalierten Proteste gegen die Sperrstunde, inklusive gewaltsamer Demonstrationen in Eindhoven und Amsterdam. Läden wurden geplündert und verwüstet, Journalisten angegriffen, eine Coronateststraße wurde angezündet, ein Krankenhaus mit Steinen beworfen.
Die Reaktionen aus der Politik sind so geharnischt wie hilflos. Die Niederlande wirken derzeit wie eine Polder-Version des Films „Joker“: ein amorpher, reflexhafter Gewaltausbruch ohne klares Konzept, ein silhouettenhaftes Bild derer, die sie anwenden.
Doch es gibt zwischen all den Flammen und Scherben durchaus deutliche Entwicklungslinien: eine wachsende Entfremdung zwischen Bevölkerung und staatlichen Institutionen. Sie zeigte sich zuletzt im Kindergeld-Skandal, der zum Rücktritt der Regierung führte. Seit Jahren nehmen Angriffe auf Journalisten zu, die von einer Kampagne legitimiert werden, die den öffentlich-rechtlichen Sender NOS konsequent „Fake News“ nennt. Das verbale Zündeln der Rechtspopulisten in der brandgefährlichen Rhetorik eines Landes, das sich „im Widerstand“ befinde, nimmt stetig zu.
Anlass zur Schnellpolitisierung
Im Rahmen einer solchen Deutung der Realität haben sich immer mehr Gruppen in ihre Nischen zurückgezogen. Die Coronakrise als Anlass zur Schnellpolitisierung bringt sie zusammen. Dieser Trend ließ sich schon vor einer Woche beobachten, als sich in Amsterdam Esoteriker, Alternative, „Identitäre“ und Trump-Fans im vermeintlichen Freiheitskampf gegen die Coronamaßnahmen trafen.
All dies fällt nicht vom Himmel. Es ist eine Saat, die aufgeht. Dass im März in den Niederlanden gewählt wird, bringt sie nun auch international in den Fokus. Allerdings: Viele Elemente des „Jokers“ im Polder sind auch anderswo bekannt, nicht zuletzt in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter