Coronahilfen für freie Künstler: Überall anders

Weil die Coronahilfen des Bundes die Lebenssituation freier Künstler nicht berücksichtigen, haben einige Länder Geld draufgelegt. Aber nicht alle.

Künstlerhaus-Eingang mit Wandbild lund Spurchbanner

Die Kunstproduktion läuft weiter: Bilder und Banner am Hamburger Künstlerhaus Frise Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Letztlich geht es um die Definition von Arbeit. Darum, wann sie in Corona-Krisenzeiten als systemrelevant und „erfolgreich“ gilt. Ist zum Beispiel ein Künstler nur „gut“, wenn er ständig ausstellt und verkauft? Und falls er es tut: Soll man dieses Geld gleich als „Gewinn“ definieren und auf Hartz-IV-Ansprüche anrechnen, wie es das Finanzamt tut?

Angesichts der Tatsache, dass etliche Künstler wenig verkaufen, scheint diese Lesart nicht angemessen. Da Hartz-IV-Sachbearbeiter aber so denken und auch jeden Cent des Lebenspartners anrechnen, scheuen Künstler diesen Weg. Unter anderem deshalb, weil man mit Hartz IV aus der so wichtigen Künstlersozialkasse fällt, in die man schwer wieder hineinkommt. Überhaupt ist das Ganze ein unwürdiges Verfahren, das dem Selbstverständnis der auf Unabhängigkeit bedachten Künstler aufs Heftigste widerspricht.

Über all dies seien Politiker „unzureichend bis gar nicht informiert“, sagt Miro Zahra, Leiterin des Künstlerhauses Plüschow bei Grevesmühlen im westlichen Mecklenburg-Vorpommern. Verständlich also, dass es Künstler erzürnt, wenn Politiker in Corona-Zeiten bloß lapidar auf Hartz IV verweisen, falls die Soforthilfe des Bundes nicht reichen sollte.

Und die weist bekanntlich Lücken auf: Die maximal 9.000 Euro aus diesem Topf dürfen nur für Betriebskosten wie Atelier­mieten verwendet werden. Lebenshaltungskosten sind nicht vorgesehen, und da für viele Künstler derzeit Nebenjobs wegfallen, kann das durchaus dramatisch sein.

Schnelle Hilfen in Hamburg

Moniert wurde das früh, aber nachjustiert haben nur wenige Bundesländer. Sehr schnell hat etwa Hamburg für Künstler, die ihre Professionalität nachweisen, eine Zusatz-Soforthilfe von 2.500 Euro für drei Monate eingestellt. Sie wird, das bestätigen Künstler, zügig bewilligt und überwiesen. Für den Fall, dass die Krise länger dauere, berate man derzeit über eine Aufstockung, heißt es aus der Behörde. In diesem Fall könnten die Künstler weitere 2.500 Euro beantragen.

Anderswo läuft es weniger rund: Zwar hatten auch Berlin und Nordrhein-Westfalen Zusatz-Soforthilfen eingerichtet, aber die Töpfe waren schnell leer. Schleswig-Holstein wiederum hat die vom Landeskulturverband gesammelten Spenden auf zwei Millionen Euro aufgestockt, aus denen Künstler insgesamt 1.000 Euro beantragen können. Die sind zwar projektgebunden. Aber das sei notwendig, weil die Regularien des gemeinnützigen Landeskulturverbands es erforderten, sagt Anders Petersen, Sprecher des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) Schleswig-Holstein. „Das ist immer noch wenig, aber ich bin froh, dass der Landeskulturverband und die Landesregierung so schnell reagiert haben“, sagt er.

Auch in Bremen existieren diverse kleinere Zusatz-Corona-Hilfsprogramme für Künstler, aber keines ist so bedingungslos und unkompliziert wie das hamburgische. Allerdings werde ständig überprüft und nachgebessert, sagt Nicole Nowak, Leiterin des dortigen Künstlerhauses.

Im benachbarten Niedersachsen indes regen sich bislang nur einzelne Städte. Braunschweig legte einen kommunalen Hilfsfonds auf, aus dem Solo-Selbstständige bis zu 3.000 Euro beantragen können. Eine landesweite Lösung fehlt aber. „In der Politik geht man wohl davon aus, dass Kunst irgendwie von selber läuft“, sagt der Braunschweiger Künstler und Hochschul-Dozent Jonas Karnagel. „Und da freie Künstler keine Lobby haben, kommen sie im öffentlichen Diskurs leider kaum vor.“

In Mecklenburg-Vorpommern ändert sich das gerade. Auch hier hatte die Landesregierung zwar eine eigene Soforthilfe in Form von „Überbrückungs-Stipendien“ à 2.000 Euro beschlossen. Die dürfen allerdings nur für Materialien ausgegeben werden, deren Quittungen akribisch vorzulegen sind. Diese enge Sicht verwundert auch deshalb, weil in der ehemaligen DDR die staatliche Förderung von Kunst systemimmanent und selbstverständlich war. Aber diese Tradition ist wohl in Vergessenheit geraten.

„Aus Verzweiflung“, sagt Miro Zahra vom Künstlerhaus Plüschow, „haben wir jetzt eine Petition aufgesetzt, in der wir unbürokratische Hilfe der Landesregierung fordern“. Binnen Tagesfrist unterzeichneten 190 Künstler, regionale Medien berichteten, aber gefruchtet hat es noch nichts. „Es ist eine Frage der Wertschätzung“, sagt Zahra. Kunst gelte eben nicht als systemrelevant.

Wichtige Verkaufsgespräche

In der Tat ist es bezeichnend, dass Museen und Galerien – obwohl, leider, nicht der Massenansammlung verdächtig – als Erste schlossen und als Letzte wieder öffnen dürfen.

Auch ist unklar, wann Künstlerateliers wieder öffnen. Warum das nottut? Erstens, weil viele Künstler dort Kurse abhalten und ein bisschen Geld verdienen. Zweitens, weil Käufer, Sammler dort hinkommen. Sie wollen nicht irgendein Bildchen im Internet sehen, sondern mit dem Künstler sprechen. „Der Kauf ist immer Ergebnis einer Interaktion“, sagt der Hamburger Fotokünstler DG Reis. „Neben den Ausstellungen ist das jetzt alles Knall auf Fall weggebrochen.“

Überhaupt ist die Sichtbarkeit für Künstler in Corona-Zeiten noch mühsamer geworden und kaum zu kompensieren durch Internet-Auftritte. Und die zu Beginn der Krise noch auf Youtube gestellten Vernissagen gibt es inzwischen auch nicht mehr.

Kunst braucht reale Orte

Dabei ist das Rezipieren von Kunst etwas Dreidimensionales, Sinnliches, da kommt man nicht drum herum. „Die Video-Installation, die ich im Frühjahr zeigen wollte, eignet sich einfach nicht fürs Internet“, sagt Iris Holstein vom Hamburger Künstlerhaus Frappant. „Die ist für einen konkreten Raum konzipiert, die muss man erleben.“

Zu Beginn des Lockdowns sei sie angesichts der Perspektivlosigkeit ganz verzagt gewesen, sagt sie. Irgendwann habe sie beschlossen weiterzuarbeiten und die Installation trotzdem aufzubauen. Man könne ja nicht einfach die Kunstproduktion stoppen.

Das tun auch die Künstlerhäuser im Norden nicht, deren staatliche Jahresfinanzierung zwar gesichert ist. Aber ihre Ausstellungen fallen aus, und um präsent zu bleiben, greifen einige auch auf die physische Welt zurück: In Schaukästen zeigen etwa das Hamburger Westwerk und das dortige Künstlerhaus Frise wechselnde Werke ihrer Künstler. Die Frise hat zudem ein Banner des US-amerikanischen Künstlers Paul Garrin aufgehängt: „Nur wenn man ein verlässliches Support-System hat, bleibt die Kunst sichtbar“, steht da sinngemäß. Mit Support sind Galerien, Museen, Künstlerhäuser, öffentlicher Raum gemeint.

Etliche Künstlerhäuser haben ihre Schaukästen jetzt zu öffentlichen Ersatzorten gemacht. Um durch den Ausnahmezustand hindurch ihre Strahlkraft zu behalten und zu sagen: Wir arbeiten weiter, die Kunstproduktion läuft, seid unbesorgt.

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