Computerspiel „Riot – Civil Unrest“: All cops are verpixelt
Im Spiel „Riot – Civil Unrest“ lässt sich der Aufstand proben. Aber auch die Niederschlagung des kollektiven Widerstands vom Sofa aus ist möglich.
Kleiner Aufstand gefällig? Macht 12,99 Euro! Wie bitte? Ja, 12 Euro 99, einen PC mit Windows oder Mac OS X und einen Steam-Account. Dann nämlich läuft „Riot – Civil Unrest“, eine Simulation von Aufständen und Akten des kollektiven Widerstands. Und eine Simulation, um Aufstände und rebellische Aktionen zu beenden, mal mehr, mal weniger repressiv.
„Riot“ ist – nach über vier Jahren der Entwicklung und vielfach verschobenen Veröffentlichungsterminen – im Dezember 2017 endlich erschienen, acht Updates haben mittlerweile Programmier- und Darstellungsfehler behoben sowie neue Funktionen erschlossen. Und so kann man sich bequem aufs Sofa hauen, das Spiel starten und erst mal überlegen. Hm, bin ich denn heute in der Stimmung, einen öffentlichen Platz zu belagern? Oder will ich lieber eine aufgebrachte Menschenmenge schikanieren, die Parolen ruft und mit Transparenten herumläuft?
Das Wohnzimmer ist gut beheizt, die Aussicht, in ein paar Minuten in einer gepanzerten Polizeiuniform samt Helm und voller Ausrüstung irgendwelchen Leuten hinterherrennen zu müssen, schreckt mich. Das klingt nach harter Arbeit. Dann doch besser mit anderen auf der Straße rumhängen und dagegen sein. Um es mit Herman Melvilles „Bartleby“ zu sagen: „Ich möchte lieber nicht.“
Vier Szenarien sind anfangs spielbar, alle orientieren sich an Aufständen, Protestaktionen und Widerstandsformen, die tatsächlich stattgefunden haben. In Keratea, südlich von Athen, kam es im Jahr 2010 zu Straßenschlachten wegen einer geplanten Mülldeponie in der griechischen Kleinstadt.
Auch die Besetzung des Tahrir-Platzes in Kairo, Ägypten, im Jahr 2011 ist dabei. Ebenso die Bewegung der Empörten im Spanien des Jahres 2012 und aus dem gleichen Jahr die Protestbewegung No-TAV, die sich im Norden Italiens gegen eine geplante Hochgeschwindigkeitstrasse richtete und in die Leonard Menchiari, der italienische Chefentwickler des Spiels, zuerst hineingeriet und dies dann zum Anlass nahm, die Arbeit am Riot-Simulator zu beginnen.
Los geht's in Maddalena
Was Menchiari kann, kann ich auch: Ich reihe mich ein in den italienischen Widerstand und lande in einem Protestcamp voller Zelte in Maddalena. Musik, die nicht zufällig an „Rage Against the Machine“ oder „Atari Teenage Riot“ erinnert, stimmt einen auf den Aufruhr ein. „Aufgabe: Schütze alle markierten Zielobjekte vor der Zerstörung.“ Und schon rücken sie an, mindestens vier Trupps von Sondereinsatzkräften der italienischen Polizei mit Gummiknüppeln und allem Drum und Dran. Hubschrauberrotoren sind zu hören. Ey, was soll das, die Schergen wollen unsere Zelte abräumen! „Stellung halten“ also und die Cops ins Leere laufen lassen. Auf jeden Fall friedlich bleiben, bisschen gemeinsam dumm im Weg rumstehen, Parolen brüllen, singen, mit einem Megafon dafür sorgen, dass alle wissen, wo sie sich am Besten querstellen.
Klappt. Die Büttel haben diesmal wohl keinen Befehl für einen repressiven Einsatz. Man schiebt sich gegenseitig ein wenig hin und her, hier und da versucht ein Einsatzteam in Pfeilformation zu den Zelten durchzudringen, eins davon wird abgeräumt. Die anderen stehen noch. Das Camp bleibt unser, die Spielszene ist beendet, beim nächsten Klick öffnet sich die Titelseite einer Zeitung und teilt uns mit: „Protestors peacefully resist against police attack“ („Protestierende widersetzen sich friedlich Polizeiangriff“). Hihi, läuft bei uns.
Auf dem Sofa richte ich mich ein wenig auf. Mein innerer Polizist ist erwacht. So nicht, denke ich, die acht blöden Zelte von diesem Gesindel werden doch wohl zu bekommen sein. Also Rollenwechsel. Und immer feste druff! Erst mal die Einstellung von defensiv zu offensiv ändern, dann drei Polizeitrupps reinschicken, Pfeilformation natürlich, nur dass diesmal alle Zelte geplättet werden. Doch, ey, was soll das? Die Zecken wehren sich ja?!
Verhaften, befehle ich, doch irgendwie wird das nichts, zumindest nicht in der vorgegebenen Zeit, 4.30 Minuten, das ist ja nichts. Mission gescheitert, eine Statistik zeigt die Anzahl der Verhafteten, wie viele Personen dabei waren, wie viele verletzt wurden. Sieht gar nicht so schlecht aus, diese Tabelle könnte das Innenministerium zufriedenstellen. Aber die Presse: „Police unable to evict protestors“ („Polizei nicht in der Lage, Demonstranten zu vertreiben“). Mist.
Tote auf dem Sofa
Nach jeder erfolgreichen Mission wird ein weiteres Level freigeschaltet. Anfangs steht der Polizei nur leichte Bewaffnung zur Verfügung, später kann mit Gummimunition, Schrot oder auch ganz scharf geschossen werden. Räumfahrzeuge, Wasserwerfer, Tränengas – es ist alles dabei, um einen Platz oder ein Gebäude zu räumen, Demonstranten am weiteren Vordringen zu hindern und einen Polizeipräsidenten glücklich zu machen.
Auch die Aufständischen können von Level zu Level anders agieren: Barrikaden werden gebaut, Schutz vor Tränengas steht plötzlich bereit, Feuerwerkskörper, Pyros, Laserpointer, Steine, Schleudern, schließlich auch Molotowcocktails. Fotografen können Polizeigewalt dokumentieren, Social-Media-Tools dienen der Vernetzung und Kommunikation.
Nach zweieinhalb Stunden bin ich im italienischen Susatal gewesen, in Kairo, Madrid und Keratea. Habe Eskalationen ungeahnten Ausmaßes innerhalb kurzer Zeit erlebt, einige Hundert Leute sitzen nun in Haft, zig Polizisten wurden verletzt, es gab Tote – auf meinem Sofa. Klar ist nun auch, je friedlicher sich die Aufständischen verhalten, desto mehr Erfolg werden sie haben. Auch bei Polizeieinsätzen führen defensive Strategien eher zum Erfolg als offensive. Also, ähem, im Spiel.
Alles aus der Feldherrenperspektive
„Riot“ lässt sich mit Tastatur, Maus, Controller oder Touchpad spielen, die Bildauflösung lässt sich je nach PC-Leistung und Grafikkarte einstellen, perfekte Auflösung ist anderswo, eine gewisse Pixeligkeit bleibt in jedem Fall. Im Einzelspielermodus wird gegen eine künstliche Intelligenz gespielt, von sehr einfach über anspruchsvoll bis „gesetzlos“, aber auch Spiele unter zwei bis vier Gegnern sind möglich. Polizisten und ihre Widersacher können also gemeinsam mit- und gegeneinander antreten, Rollenwechsel inklusive. Sollten sie vielleicht mal tun, ein Kennenlernen über „aktionsorientiertes Handeln“ soll ja schon so manchen Konflikt beendet haben. Aber bitte nicht auf meinem Sofa.
„Riot – Civil Unrest“. Merge Games 2017, für Mac OS X und Windows 7–10, spielbar nur über Steam. 12,99 Euro, www.riotsimulator.com.
„Riot – Civil Unrest“ stresst mit der Zeit ziemlich. Protestlieder, Slogans, Megafongeschepper, Schussgeräusche, Hubschrauberknattern und viel Geschrei. Ja, so hören sich Aufstände am PC wohl an. Mehr als das Spiel erinnert einen der Sound daran, dass reale Situationen der Simulation vorausgegangen sind, dass insbesondere der Tahrir-Platz lange ein politischer Ort gewesen ist, auf dem Menschen gestorben sind, um Freiheit zu erlangen. Die größte Schwäche von „Riot“ ist seine Feldherrenperspektive, aus der heraus Spieler Menschenmengen manövrieren. Die größte Stärke besteht darin, dass Spieler auf soziale Kämpfe in Ägypten, Italien, Spanien und Griechenland aufmerksam gemacht werden.
Weitere Orte von Widerstandsaktionen könnten im „Riot“-Simulator mit der Zeit hinzukommen: Von Brasilien bis Venezuela und von Frankreich bis China sind Spielszenarien angelegt, die sich an realen Protestaktionen orientieren, und irgendwann freigeschaltet werden können. Übrigens: Für Deutschland ist kein Aufstand vorgesehen.
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