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Archiv-Artikel

Coming Out im Böhmerland

Hippen empfiehlt: In „Der Dorflehrer“ bricht Bohdan Sláma mit der Tradition des immer ein wenig putzig wirkenden tschechischen „Heimatfilms“

Bohdan Sláma siedelt ein komplexes, intimes und berührendes Drama in einem sommerlichen böhmischen Dorf an

von Wilfried Hippen

Dorfgeschichten wurden im tschechischen Film immer gerne erzählt. Milos Forman feierte seinen ersten internationalen Erfolg mit dem ländlichen Schwank „Der Feuerwehrball“ und bei Jirí Menzel merkt man schon an Filmtiteln wie „Lerchen am Faden“, „Heimat, süße Heimat“ oder „Das Wildschwein ist los“, dass sie nur in Böhmen spielen können. Der Grundton von so gut wie all diesen Filme war zärtlich, spöttisch – bei aller Liebe waren die Regisseure halt doch aus Prag und schauten ein wenig blasiert auf ihr provinzielles Figurenkabinett hinunter. Mit dieser Tradition des immer ein wenig putzig wirkenden tschechischen „Heimatfilms“ bricht nun Bohdan Sláma, dessen letzter Film „Die Jahreszeiten des Glücks“ in einem lethargischen Grenzörtchen spielte, und der auch jetzt wieder ein komplexes, intimes und berührendes Drama in einem sommerlichen böhmischen Dorf ansiedelt.

Der Titelheld Petr ist ein junger Mann aus Prag, der dort seine Arbeit als Lehrer hingeschmissen hat, um stattdessen in der tiefsten Provinz eine Stelle anzunehmen. Der zurückhaltende Melancholiker schließt zögerlich Freundschaft mit der Bäuerin Marie, die zusammen mit ihrem rebellischen Sohn einen Hof mit Rindern bewirtschaftet. Behutsam und mit großem Einfühlungsvermögen inszeniert Sláma, wie zögerlich die drei sich einander nähern.

Bei einem Besuch in Prag bei seinen Eltern wird deutlich, warum Petr von dort geflohen ist. Solche zugleich pointierten und poetischen Dialogstellen wie „Wir erzählen lieber Pappi nichts davon!“ – „Mammi, er weiß es doch!“ bekommt nur ein Regisseur hin, der seine Figuren genau kennt und mit großer Zuneigung von ihnen erzählt. Zusammen mit der Mutter erfährt nun auch der Zuschauer, dass Petr schwul ist, und nach seiner Rückkehr ins Dorf sieht man dieses nun mit ganz anderen, nämlich seinen Augen. Das Dorf ist plötzlich ein Minenfeld und Petr hat verständliche Angst davor, wie die Nachbarn, Eltern seiner Schüler und Lehrerkollegen reagieren würden, wenn sie um sein Geheimnis wüssten. Und das Verhältnis zu Marie und ihrem Sohn erscheint nun auch nicht mehr so freundschaftlich und unschuldig, denn Petr fühlt sich zu dem jungen Mann hingezogen, während dessen Mutter sich selber Hoffnungen auf eine Liebschaft mit ihm macht. Ein früherer Geliebter von Petr reist ihm aus Prag hinterher und schreckt ihn aus seiner vermeintlichen ländlichen Idylle auf und so kommt es zu einer Nacht, in der sich alle besaufen und die Hemmungen fallen lassen. Diese Entwicklung nach etwa zwei Dritteln des Films scheint auf ein vorhersehbar deprimierendes Ende zuzulaufen, und man beginnt schon, dem Regisseur übel zu nehmen, dass er uns diese Charaktere erst so nahe gebracht hat, um sie dann so im Elend stranden zu lassen.

Aber dann überrascht Sláma mit einem sehr ungewöhnlichen letzten Akt, bei dem jede Figur mit der gleichen Großzügigkeit und Wärme auf die Krise reagiert, mit der Sláma ja schon den ganze Film durchtränkt hat. Das ist alles andere als ein verlogenes Happy-End und es haben sich auch nicht alle auf einmal lieb.

Der Film gewährt ihnen allen stattdessen einen Moment des klares Blickes, nach dem sie sich und die anderen mit anderen Augen sehen können. All das passiert in der letzten langen Einstellung des Films, in der eine Kuh ein Kalb wirft. In Echtzeit kommt hier der Film auf seinen mit feinem dramaturgischen Gespür gesetzten Schlusspunkt, und man fragt sich unwillkürlich, wie viele Rinder vor der Kamera kalben mussten, bis jeder Blick und jede Berührung der Schauspieler so perfekt saß.