: Collor verspricht das Paradies in hundert Tagen
Fernando Collor tritt heute das Amt des brasilianischen Staatspräsidenten an, mit dem Ziel, die völlig ruinierte Wirtschaft binnen kurzem zu sanieren / Neue Wirtschaftsministerin verordnete dreitägige Schließung der Banken, um Ruhe für einschneidende Maßnahmen zu haben ■ Aus Rio Frederico Füllgraf
Mal läßt er sich beim Karateschlag fotografieren, mal braust er auf einem Moto-Cross-Rad durch die staunenden Reporter oder zeigt seine Wasser-Jet-Ski-Künste: Fernando Collor de Mello läuft Harrison Ford den Rang ab mit seiner tropischen One-man-Show a la Indiana Jones. Ziel des Mannes, der heute brasilianischer Staatspräsidenten wird: „Den Tiger mit einem einzigen Pfeil niederstrecken!“
Gemeint ist die wilde Bestie Inflation, die im letzten Regierungsmonat von Jose Sarney die 80-Prozent-Hürde übersprungen hat. Sarney geht, und Brasilien liegt am Boden: Die Auslandsverschuldung beträgt 110 Milliarden US-Dollar, und die Inlandsschulden sind mindestens ebensohoch. Das Landverteilungsprogramm hat lediglich zehn Prozent seines Ziels erreicht, die öffentliche Gesundheitsversorgung ist zusammengebrochen, und während das Haushaltsdefizit neue Rekorde erreicht, ist der Mindestlohn mit umgerechnet 75 DM pro Monat auf den Tiefstpunkt gesunken.
Scheinbar unbeirrt von der katastrophalen Situation verspricht Collor, „in einhundert Tagen Brasilien aus der Krise zu befreien“ und die „Ruinen-Landschaft in ein Land der 'Ersten Welt‘ zu verwandeln“. Wie er das schaffen will, bleibt zunächst das Geheimnis des Vierzigjährigen.
Mit dem Militär wird er sich jedenfalls nicht anlegen. Der machtvolle Ministerposten für Infrastruktur wird mit dem ehemaligen Rüstungsboß der Luftwaffe, Osiris Silva, besetzt, der dann zuständig ist für die staatlichen Betriebe, Transport- und Fernmeldewesen. Um auch bei der Vorstellung seines Kabinetts keine Chance publikumswirksamer Effekthascherei zu verschenken, nahm Collor den Frauentag am 8.März zur Gelegenheit, die Wirtschaftsministerin Zelia Cardoso zu nominieren.
Die wiederum scheint ihrem Chef an Effektbewußtsein nicht nachzustehen: Völlig überraschend verkündete sie eine dreitägige Zwangsschließung der Banken, obwohl sie sich noch am Montag vehement gegen eine solche Maßnahme gewehrt hatte. In der Zeit der erzwungenen Bankenruhe wird die Regierung Collor einschneidende Wirtschaftsmaßnahmen verhängen. Die brasilianische Notenbank hat als ersten Warnschuß beschlossen, den Cruzado um 10 Prozent abzuwerten.
In Bankenkreisen wird angenommen, daß die neue Regierung die Privatisierung von Staatsunternehmen, eine drastische Verringerung des Personals im öffentlichen Dienst und sonstige Einsparungen im Bundeshaushalt beschließen wird. Vertreter der Wirtschaft äußerten Sorge, daß Collor de Mello wie sein Vorgänger Jose Sarney einen Lohn-und Preisstopp verfügen könnte.
Publikumswirksam hatte Collor den Polizeichef Romeu Tuma mit einer Zusatzaufgabe betraut: Er wurde zum „Sheriff“ des Kampfes gegen Steuerhinterziehung nominiert. Steuerpolitik wird nun auf Polizeirevieren umgesetzt. Das brasilianische BKA von Tuma soll auch gegen die Preistreiber in den Supermärkten eingesetzt werden.
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